Expertinnen und Experten sprechen davon, dass die Ukraine das Land ist, das weltweit am stärksten betroffen ist von Minen und Sprengkörpern. Vor Ort ist auch eine Schweizer Organisation. Deren Direktor beschreibt die aktuelle Situation.
SRF News: Wie sieht die Lage vor Ort aus?
Hansjörg Eberle: Die extrem materialintensive Art von Kriegsführung hat zu Verhältnissen wie etwa im Zweiten Weltkrieg geführt. Das Hauptproblem sind zurzeit nicht die Landminen, sondern die nicht explodierte Munition.
Es wurden Zehntausende oder Hunderttausende von Artilleriegranaten und Mörsergranaten verschossen. Man kann davon ausgehen, dass von all dieser verschossenen Munition ein kleiner Prozentsatz – vielleicht fünf bis zehn Prozent – nicht explodiert ist. Diese nicht explodierte Munition ist ein riesiges Problem.
Was sind die Folgen für die Bevölkerung?
Eigentlich sind die betroffenen Gebiete für die Zivilbevölkerung nicht mehr zugänglich. Oftmals werden die Leute zwar evakuiert oder sind schon geflüchtet. Aber wer bleibt, schwebt in höchster Lebensgefahr, denn diese lauert überall. Darum ist es so wichtig, dass die humanitären Minenräumer diese Gebiete säubern und somit für die Zivilbevölkerung wieder zugänglich machen können.
Einen Bauernhof mit umliegendem Land zu säubern, kann ohne Weiteres mehrere Monate in Anspruch nehmen.
Und wie machen Sie das?
Grundsätzlich versuchen wir, als Erstes herauszufinden, wo und inwieweit die Gefahr durch Minen oder nicht explodierte Munition besteht. Wir gehen zum Beispiel Hinweisen nach zu Unfällen, Explosionen, oder wenn tote Tiere gesichtet wurden.
Dann klären wir ab, ob es sich um eine einzelne Mine oder ein eigentliches Minenfeld handelt, und versuchen zu klären, wo Gefahr herrscht. Mit dieser Evaluation helfen wir der Bevölkerung schon sehr. Wenn das Gebiet vermint ist, müssen natürlich Minenräumungsteams her.
Wie lange dauert es denn, bis man ein Gebiet gereinigt hat?
Die Minenräumung findet meistens in Teams von zehn bis 20 Personen statt. Einen Bauernhof mit umliegendem Land zu säubern, kann ohne Weiteres mehrere Monate in Anspruch nehmen. Es ist also eine relativ zeitaufwendige Angelegenheit.
Wir helfen nur der Zivilbevölkerung, dass sie nicht zu Schaden kommt. Wir führen keine militärischen Aktionen durch.
Wer sind Ihre Mitarbeitenden?
Wir rekrutieren grundsätzlich lokal und wenn immer möglich aus den betroffenen Gebieten. Denn diese Leute wissen, was vor Ort passiert ist und sind hoch motiviert. Zurzeit ist das manchmal nicht ganz einfach. Viele Frauen haben das Land verlassen und bei den Männern besteht immer ein Risiko: Wenn sie im fähigen Alter für die Minenräumung sind, dann sind sie auch für die Armee interessant.
Wir müssen also dauernd schauen, dass unsere Minenräumer nicht von der Armee eingezogen werden. Abgesehen von diesen Schwierigkeiten, ist die Arbeit aber sehr interessant und gut bezahlt. Die Ukrainer sind eigentlich sehr interessiert, diese Stellen zu ergattern.
Sie arbeiten in der Ukraine als Schweizer Organisation mit Unterstützung des Aussendepartements (EDA). Ist so ein Einsatz neutralitätspolitisch nicht heikel?
Das denke ich nicht. Humanitäre Minenräumung findet zwar meistens nach dem Krieg statt – hier aber haben wir eine besondere Situation. Viele Organisationen, darunter auch wir, waren schon vor diesem letzten Überfall der Russen im Land tätig.
Natürlich ist es wichtig, dass die humanitären Minenräumer sich ganz klar von dem militärischen Bereich abgrenzen. In den wieder eroberten Gebieten wollen die Menschen aber einfach zu ihrem normalen Leben zurückkehren. Das ist unser Gebiet. Wir helfen nur der Zivilbevölkerung. Wir führen keine militärischen Aktionen durch.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.