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Missbrauchsvorwürfe gegen die katholische Kirche
Aus Echo der Zeit vom 15.08.2018. Bild: Keystone
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Missbrauch in Pennsylvania «Wir haben keine Vorstellung vom ungeheuren Ausmass»

Es ist die umfassendste Sammlung von Missbrauchsvorwürfen in der katholischen Kirche der USA. Im Bundesstaat Pennsylvania sollen mindestens 300 Priester in den vergangenen 70 Jahren rund 1000 Kinder missbraucht haben. Die Kirchenführung soll die Geschehnisse vertuscht haben.

Der Journalist Walter Robinson hat vor 15 Jahren einen ähnlichen Skandal aufgedeckt, der die katholische Kirche in den USA in eine Krise stürzte. Er vergleicht die beiden Skandale und kommt zum Schluss, dass das Problem weiterbestehen werde.

Walter Robinson

Journalist

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Walter Robinson ist Journalist bei der Tageszeitung «Boston Globe». Für seine Enthüllungen um einen Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche erhielt er zusammen mit seinem Team 2003 den Pulitzer-Preis. Die Recherche der Bostoner Journalisten diente auch als Vorlage für den Film «Spotlight», der 2016 mit dem Oscar in der Kategorie «Bester Film» ausgezeichnet wurde.

SRF News: Welches war Ihre erste Reaktion auf diesen neusten Bericht aus Pennsylvania?

Walter Robinson: Es kommt mir auf eine deprimierende Art und Weise bekannt vor. Wir hatten 2002 in Boston die gleiche Situation. 250 Priester in der Erzdiozöse Boston missbrauchten über einen Zeitraum von gut 50 Jahren Tausende von Kindern. Und damals waren alle geschockt und dachten, das habe etwas mit Boston zu tun. Und nun hören wir, dass das auch andernorts alltäglich war. Der jüngste Bericht aus Pennsylvania beweist das.

Die Kirche hat bewusst die Zahl der involvierten Priester verharmlost und, noch wichtiger, die Zahl der Opfer.

In Boston haben mehr als zehn Prozent der Priester Kinder missbraucht – in Pennsylvania ist der Prozentsatz fast ebenso hoch. Die US-Kirche gab nur die Hälfte der Fälle zu. Sie haben also bewusst die Zahl der involvierten Priester verharmlost und, noch wichtiger, die Zahl der Opfer. Es gibt noch immer Zehntausende von Betroffenen, die nicht darüber sprechen. Wir haben keine Vorstellung vom ungeheuren Ausmass des Problems.

Sind sie beim neusten Bericht über Missbräuche auf Überraschendes gestossen?

Überrascht hat mich vor allem, dass die katholische Kirche, ungeachtet all der Beweise, die Taten vertuschte. Sie haben Priester in andere Gemeinden versetzt, im Wissen um deren Taten. Sie haben damit den Missbrauch ermöglicht. Und wenn etwas aufflog, haben sie geheime Regelungen getroffen, trotz aller Beweise.

Solange die Kirche nicht zur Wahrheit stehen kann, wird das Problem weiterbestehen.

Gestern behauptete der Bischof von Pittsburgh rundweg, es habe keine Vertuschung gegeben. Das ist schlicht falsch, ebenso seine Behauptung, die Kirche sei in dieser Sache immer transparent gewesen. Das stimmt einfach nicht! Bis zu diesem Tag kann die Kirche nicht zugeben, dass Priester Kinder missbrauchen. Und das gilt sogar für Argentinien, wo Papst Franziskus früher Kardinal war.

Was sagt das aus über die katholische Kirche in den USA?

Dass sie, nicht nur in den USA, eine Institution ist, die sich mehr darum kümmert, ihre Priester und ihren Ruf zu schützen, als sich um die Kindern zu sorgen, was eigentlich Vorrang haben sollte.

Ihre Recherche über Kindesmissbrauch durch Priester hat in der katholischen Kirche viel ausgelöst. Aber offenbar nicht genug?

Es gab schon Veränderungen. Heute gibt es weniger Opfer, weil die Kirche zur Verantwortung gezogen wurde. Doch dies geschah meist nur, wenn ihr die Pistole an die Brust gesetzt wurde, wenn Staatsanwälte mit Strafverfolgung drohten, falls die Kirche nicht ihr Verhalten änderte. Dennoch herrscht in der Kirche noch immer die Ansicht vor, man habe nichts Falsches gemacht und nichts verheimlicht. Aber solange die Kirche nicht zur Wahrheit stehen kann, wird das Problem weiterbestehen.

Einige Täter sind bereits tot, oder ihre Taten sind verjährt. Deshalb werden die Stimmen lauter, die eine Abschaffung der Verjährungsfristen fordern. Was halten Sie davon?

In den USA ist die Lage von Staat zu Staat unterschiedlich. In ein paar Staaten, nicht aber in Pennsylvania, wurde die Verjährungsfrist bei Vergewaltigung von Kindern abgeschafft. Ein solcher Fall wird nun wie ein Kapitalverbrechen, wie Mord, behandelt. So kann er auch Jahrzehnte später noch aufgeklärt und verfolgt werden.

Es gibt nun zwar Hilfe für die Opfer, aber damit werden die Täter nicht aus dem Verkehr gezogen.

Andere Staaten haben die Verjährungsfrist nur verlängert, aber nicht abgeschafft. Die Mehrheit der straffälligen Priester und der Bischöfe, die sie gedeckt haben, bleiben deshalb unbehelligt. Es gibt nun zwar Hilfe für die Opfer, aber damit werden die Täter nicht aus dem Verkehr gezogen.

Was sollte getan werden?

Es ist einiges in Bewegung geraten, um Vergewaltigung von Kindern strafrechtlich besser zu ahnden, zum Beispiel eben durch die Verlängerung von Verjährungsfristen. Und der jüngste Bericht aus Pennsylvania wird wohl mehr Staaten dazu bringen, dies zu tun. Aber die katholische Kirche in den USA wurde nur gezwungen, einige Tausend Priester aus dem Kirchendienst zu entfernen. Priester, die Kinder missbraucht haben, aber strafrechtlich nicht verfolgt wurden. Sie leben nun als Zivilisten in unserer Mitte und niemand weiss, was sie getan haben. Sie bleiben eine Gefahr für die Kinder.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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