Wo liegen die Chancen und Risiken der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat? Stefanie Walter, Professorin für Internationale Beziehungen an der Universität Zürich, ordnet ein.
SRF News: Die kleine, neutrale Schweiz im UNO-Sicherheitsrat: Ein Zeichen von Selbstbewusstsein oder eher von Übermut?
Stefanie Walter: Ich denke, es ist ein Zeichen von Selbstbewusstsein und auch von Verantwortung, die die Schweiz trägt. Wir sind seit 20 Jahren in der UNO und nehmen einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat ein. Das ist selbstbewusst und unserem Status angemessen.
Es ist schon so, dass die geopolitische Lage angespannt ist und der Druck auf neutrale Staaten zunimmt.
Ex-Aussenministerin Micheline Calmy-Rey sprach vor 16 Jahren von diesem Selbstbewusstsein. Aber die Welt ist heute eine andere – weniger stabile. Ist heute ein Sitz im UNO-Sicherheitsrat ein grösseres Risiko für die Neutralität?
An sich ist der Sitz im UNO-Sicherheitsrat mit der Neutralität vereinbar. Es gibt andere Staaten – Österreich, Schweden, Irland – die auch schon im UNO-Sicherheitsrat waren. Die geopolitische Lage ist natürlich schon angespannt, und der Druck auf neutrale Staaten steigt. Dem wären wir auch ohne UNO-Sicherheitsrat ausgesetzt. Aber natürlich sind wir etwas exponierter, wenn wir da an vorderer Stelle stehen.
Der UNO-Sicherheitsrat hat schon drei Mal militärische Interventionen genehmigt, zum Beispiel im Golfkrieg. Wie könnte die Schweiz in einem solchen Fall mitentscheiden, ohne ihre Neutralität zu verletzen?
Die Schweiz vertritt die gleichen Werte wie die UNO, zum Beispiel die Achtung vor dem Völkerrecht und die Menschenrechte. Eingriffe, die diesen Werten dienen, kann man auch als Schweiz rechtfertigen.
Bei einem solchen Entscheid ginge es konkret darum, ob Soldaten geschickt werden.
Das ist für neutrale Staaten tatsächlich schwierig. Man kann sich enthalten, aber natürlich möchte man im UNO-Sicherheitsrat auch mitgestalten. Das Neutralitätsrecht ist eng definiert: Die Schweiz darf keine Waffen oder Soldaten in Konfliktregionen senden. Bleibt die Frage, was ist, wenn die Schweiz mitentscheidet, dass die UNO Soldaten entsendet. Immerhin haben wir auch schon UNO-Sanktionen mitgetragen, weil die UNO eine grosse Legitimation hat und für das Völkerrecht an sich steht.
Die Schweiz ist in einer guten Position, weil wir durch die Neutralität sagen können, dass wir keine Allianzen bilden wollen.
Auch vor nicht so heiklen Entscheiden machen sogar befreundete Mächte wie die USA offenbar mächtig Druck. Ist die Schweiz die Schmusekatze, die sich in den Raubtierkäfig wagt?
Diese Machtspiele gibt es in den internationalen Beziehungen immer. Das haben wir auch schon erlebt, zum Beispiel mit den USA beim Bankgeheimnis. Die Forschung zeigt, dass die USA und andere Staaten versuchen, Einfluss zu nehmen auf die nicht-ständigen Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat. Beispielsweise, indem sie ihnen bei der Weltbank günstigere Kredite geben. Insofern ist die Schweiz in einer guten Position, weil wir durch die Neutralität sagen können, dass wir keine Allianzen bilden wollen. Das ist eine Chance, dass wir uns da diesen Machtspielen entgegenstellen können.
Was kann die Schweiz für den Frieden erreichen?
Die Schweiz hat eine klare Agenda definiert für den Einsatz im UNO-Sicherheitsrat, wie die Stärkung des Multilateralismus oder den Schutz der Menschenrechte. Auch als kleines, nicht-ständiges Mitglied kann man Einfluss haben auf die Diskussionen. Und die Weltgeschicke damit ein wenig in die Richtung lenken, die unseren Werten entsprechen.
Worin liegt die grösste Chance für die Schweiz?
Als kleine, offene Volkswirtschaft sind wir auf die regelbasierte, multilaterale Weltordnung angewiesen. Denn bei reiner Machtpolitik kommen wir unter die Räder. Wir müssen alles tun, um diese Weltordnung so aufrechtzuerhalten – der Sitz im UNO-Sicherheitsrat bietet uns eine Chance, dafür einen kleinen Beitrag zu leisten.
Das Gespräch führte Nathalie Christen.