Seit Monaten hat ein Referendum Australien gespalten. Die Frage war, ob Indigene ein grösseres politisches Mitspracherecht bekommen sollten. Fast 60 Prozent der Wahlberechtigten haben «Nein» gestimmt. Urs Wälterlin, der für SRF aus Australien berichtet, blickt auf die Vorlage und den hitzigen Abstimmungskampf zurück.
Was war der Inhalt der Vorlage?
Laut dem Vorschlag für eine Änderung der Verfassung hätte künftig ein Gremium aus Vertretern verschiedener indigener Gemeinden das Parlament bei der Gestaltung von Gesetzen beraten. Es wäre primär um Fragen gegangen, die für die ersten Bewohnerinnen und Bewohner des Kontinents von hoher Wichtigkeit sind: die in vielen Aboriginals-Gemeinden schlechte Gesundheitsversorgung, dramatische Ausbildungsdefizite, Armut und Wohnraummangel.
Weshalb hätten Indigene von mehr Mitbestimmung profitiert?
Die rund 900'000 Aboriginals sowie die indigenen Bewohner der Torres-Meeresstrasse gehören unter den 26 Millionen Australiern zu den am stärksten benachteiligten Gruppen. Sie sterben im Durchschnitt acht Jahre früher als nicht-indigene Australier und leiden besonders oft unter Diskriminierung. In vielen Aboriginals-Gemeinden fehlt es an Dienstleistungen im Gesundheits- und Ausbildungsbereich, die für weisse Australier selbstverständlich sind. Entscheide über Unterstützungsmassnahmen werden oft von nicht-indigenen Beamten getroffen, ohne Konsultation der Betroffenen.
Weshalb wäre das Gremium im Grundgesetz verankert worden?
Die Ureinwohnerinnen und Ureinwohner wären erstmals überhaupt in der Verfassung erwähnt worden. Im Gegensatz etwa zu Neuseeland hat Australien keinen Vertrag mit seiner indigenen Bevölkerung, der ihnen gewisse Rechte einräumt. Das Grundgesetz war in Australien 1901 in Kraft getreten, 113 Jahre nach Beginn der weissen Besiedlung des Kontinents. Erst seit 1967 sind Indigene überhaupt als Bürger anerkannt, auf einem Kontinent, den sie seit 65'000 Jahren bewohnen.
Wieso ist der Entscheid von historischer Bedeutung?
Aboriginals kämpfen seit Jahrzehnten um mehr Mitsprache. Die Vorlage sei ein Weg, «um unsere Menschen zu ermächtigen und ihren rechtmässigen Platz in unserem eigenen Land zu erhalten», sagte die indigene Rechtsprofessorin Megan Davis gegenüber SRF vor der Abstimmung. Das Referendum war das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen zwischen den verschiedenen indigenen Nationen und Stämmen mit ihren eigenen Sprachen, Kulturen und Riten.
Wie sah die Kampagne der Gegner aus?
Nachdem vor ein paar Monaten Umfragen auf eine Annahme der Vorlage hingedeutet hatten, begann eine von den konservativen Oppositionsparteien angeführte Kampagne sukzessive die Argumente der Befürworterinnen und Befürworter zu untergraben. Laut Medienberichten wurde die Strategie der «Nein»-Seite durch Berater der ultrakonservativen Rechten in den USA umgesetzt, die dem Lager von Donald Trump angehörten. Sie ist ebenso simpel wie wirkungsvoll: Die Medien werden über Monate mit Halbwahrheiten, Falschheiten, ja nackten Lügen überflutet.
Die Gegner setzten auf Slogans, die auf Angst vor Rassismus gegenüber weissen Menschen zielten. Sie warnten vor einer Spaltung der Gesellschaft, vor Landverlust und höheren Steuern, ja vor «rassistisch bedingten Sonderrechten» für Ureinwohnerinnen und Ureinwohner. Die Slogans wurden in den Medien täglich wiedergekäut – allzu oft ohne von den Journalistinnen und Journalisten hinterfragt zu werden.