Der Kleinbus hält an einer belebten Strasse in der westukrainischen Metropole Lwiw. Zwei Soldaten und zwei Polizisten steigen aus. Hier hat das Mobilisierungsteam den ersten Einsatz. Geleitet wird es vom 27-jährigen Andrii.
Der junge, sichtlich gut trainierte Mann in Uniform erklärt, was seine Aufgabe ist: «Wir kontrollieren, ob die Wehrpflichtigen sich ordnungsgemäss im Register eingeschrieben und ihre Daten auf den neusten Stand gebracht haben, und ob sie ihr Dienstbüchlein auf sich tragen.» Denn dazu verpflichtet das neue Mobilisierungsgesetz alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren.
Andrii sagt, die Reaktionen auf die Kontrollen seien unterschiedlich. Es sei nicht immer angenehm, einige verhielten sich unzivilisiert. Aber es gebe auch positive Reaktionen. Aggressionen kämen vor, aber eher selten. Deshalb seien sie immer mit Polizisten unterwegs – die kämen in solchen Fällen zum Einsatz, und auch dann, wenn Strafen verhängt würden. Oder wenn jemand erwischt wird, der zur Fahndung ausgeschrieben ist.
Angst vor der Einberufung
Teamleiter Andrii spricht einen ersten Passanten an, die Polizisten weisen sich aus. Der Kontrollierte zückt seine Papiere, und diese beweisen: er hat gedient und wurde verwundet. Die Uniformierten verabschieden sich und gehen weiter, bis zu einer Strassenecke.
Dort kommt ihnen ein kahlköpfiger Mann in T-Shirt, Shorts und Badelatschen entgegen. In einer Hand trägt er einen Abfallsack, an einer Leine führt er ein winziges Hündchen.
Als die Uniformierten ihn ansprechen, beginnen seine Hände zu zittern. Und tatsächlich: die Papiere sind nicht in Ordnung, er muss mit zum nächsten Rekrutierungszentrum. Er heisst Wolodymyr, ist 32 Jahre alt und hat seine Daten nicht aktualisiert. Er sagt auf die Frage, wie er sich fühle: «Ich habe Angst, und diese Angst ist der Grund, warum ich mich nie bei den Behörden gemeldet habe.»
Ein Polizist bringt den Müll weg, und Wolodymyr muss zusammen mit den Uniformierten in den Kleinbus einsteigen. Das Hündchen darf der mitnehmen.
Wolodymyr ist kein Einzelfall
So wie Wolodymyr verhalten sich viele: Sie ziehen um und melden ihre neue Adresse nicht, oder sie verstecken sich sogar, gehen kaum noch auf die Strasse, aus Angst, eingezogen zu werden. Doch Wolodymyr hat Glück im Unglück: Er muss zwar einrücken, wird aber zuerst ein paar Monate Ausbildung absolvieren.
Dann fährt das Team zum Parkplatz vor einem Shoppingcenter. Als die Soldaten einen Mann kontrollieren, wirft ihnen eine ältere Frau böse Blicke zu. Sie regt sich auf, ringt um Atem, als sie sagt, es störe sie sehr, dass Leute auf der Strasse kontrolliert würden. Da wolle jemand Brot kaufen und komme vielleicht nicht mehr nach Hause, weil er in die Armee gesteckt werde. «Das ist unmenschlich».
Die Mobilisierung belastet alle
Die Behörden sollten die Leute per Post aufbieten, und nicht auf der Strasse, so die Frau, die sich mit jedem Wort mehr in die Empörung hineinsteigert. Die Jungs hätten zu wenig Munition, zu wenig Ausrüstung, sie bräuchten unbedingt bessere Ausrüstung. Sie wisse von Verwandten, wie miserabel die Lage im Feld sei.
Und so zeigt sich einmal mehr: Die Mobilisierung ist mit grossen Schmerzen verbunden, für die ganze Gesellschaft. Auch der Mobilisierungsbeamte Andrii sagt: «Es gibt Tage, da kommst Du nach Hause und denkst: Ich will mich einfach nur betrinken.»
Doch dann rappelt er sich auf und geht am nächsten Tag wieder seiner Arbeit nach. Solange, bis er selbst einberufen und in den Krieg geschickt wird.