Fast alle sprechen für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten von der Zweistaaten-Lösung – doch Israels Premier Benjamin Netanjahu schliesst eine solche unter seiner Führung aus, auch auf palästinensischer Seite ist sie mindestens umstritten. Worum es dabei geht und warum die UNO, USA und EU weiter an der Idee festhalten, weiss der Politologe Jan Busse.
SRF News: Warum kommen die westlichen Staaten immer wieder mit der Forderung nach einer Zweistaaten-Lösung, obschon die Erfolgsaussichten so gering sind?
Jan Busse: Die Erfolgsaussichten sind auch davon abhängig, wie stark sich die westlichen Staaten einmischen, um die Kalküle der Akteure vor Ort zu verändern. Unter Druck und Einmischung kann sich da einiges bewegen.
Die westlichen Staaten sehen sich für die Situation im Nahen Osten mitverantwortlich.
Die westlichen Staaten sind schon vor Jahrzehnten zum Bekenntnis der zwei Staaten – Israel und Palästina – gelangt, weil es aus ihrer Sicht zu einer nachhaltigen Konfliktregelung beitragen kann. Begründet ist dieses Bekenntnis sicher auch darin, dass sich die westlichen Staaten für die Situation im Nahen Osten mitverantwortlich sehen.
Was ist mit einer Zweistaaten-Lösung genau gemeint?
Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern soll dadurch geregelt werden, dass es zwei souveräne Staaten gibt. Diese Idee ist fast so alt wie der Nahost-Konflikt selber: Schon in den 1930er-Jahren machten die Briten als Mandatsmacht entsprechende Vorschläge. Dabei ist entscheidend, wie das Ganze ausgestaltet wird. So gibt es zahlreiche Streitpunkte wie Grenzziehung, die Siedlungen, der Status von Jerusalem oder das Rückkehrrecht von Palästinensern.
Das tönt sehr kompliziert – ist die «Zweistaaten-Lösung» also nicht viel mehr als ein praktisches Schlagwort für die westlichen Politiker?
Die Zweistaaten-Regelung ist viel mehr als ein Schlagwort. Denn die Idee ist in der Vergangenheit sehr detailliert von Fachleuten, Politikern und Praktikern ausgearbeitet worden. Für jede der Streitfragen liegen in der Schublade hunderte Seiten lange Lösungsvorschläge.
Die internationale Staatengemeinschaft sollte sich stärker einmischen, um das Kalkül der Akteure zu verändern.
Das Problem ist, dass sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite Politiker am Ruder sind, die entweder nicht willens sind oder nicht in der Lage, die nötigen politischen Kompromisse zu machen. Und genau hier kommt die internationale Staatengemeinschaft ins Spiel. Sie sollte sich stärker einmischen, um das Kalkül dieser Akteure zu verändern.
Was hat der aktuelle Krieg im Gazastreifen an der Ausgangslage verändert?
Die Zustimmung für eine Zweistaaten-Regelung war vor dem 7. Oktober auf einem historischen Tiefstand – auf beiden Seiten. Zugleich waren auf beiden Seiten Gegner eines Friedens an der Macht – die Hamas in Gaza und Netanjahus rechte Regierung in Israel.
International ist der Nahost-Konflikt wieder in den Fokus gerückt – und damit das Bekenntnis zur Zweistaaten-Lösung.
Diese Fronten haben sich inzwischen nochmals verhärtet. Anders als auf der internationalen Seite: Hier ist der Nahost-Konflikt überhaupt erst wieder in den Fokus gerückt – und damit das Bekenntnis zur Zweistaaten-Lösung. Die Frage ist nun, ob den Worten auch Taten folgen.
Der britische Premier Rishi Sunak sagte, seine Regierung könnte einen palästinensischen Staat bereits anerkennen, bevor sich alle auf die Details geeinigt hätten. Wie erfolgversprechend wäre das?
Wenn der Anerkennung nicht weitere Taten folgen würden, wäre das bloss ein symbolischer Akt. Palästina ist als Staat bereits von rund 130 Ländern anerkannt, ohne dass das zu einem Ende der Besetzung oder des Siedlungsbaus geführt hätte. Es kommt dabei vor allem auf die Schlüsselstaaten Grossbritannien und die USA an.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.