Ali Barudi ist eigentlich Englischdozent an der Universität von Mossul, doch seit der Befreiung der Stadt vom sogenannten Islamischen Staat, dokumentiert der leidenschaftliche Fotograf, wie sich die Stadt verändert hat.
Seine Tour beginnt er jeweils bei der alten eisernen Brücke über den Tigris: Dies sei die erste Brücke gewesen, welche beide Seiten der Stadt verband, und die letzte, die gesprengt wurde während des selbsternannten IS-Kalifats.
Um die Ausweitung des IS zu verhindern, zerstörte die US-Luftwaffe alle fünf Brücken in Mossul. Ein emotionaler Moment für die Menschen der Stadt, sagt Ali Barudi: «Wir hatten Tränen in den Augen, als die Brücke unten im Flussbett lag». Mossul wurde dadurch in zwei Hälften geteilt. Die Altstadt am westlichen Ufer des Tigris war IS-Gebiet. Genau dorthin führt nun Ali Barudis Spaziergang: Über einen lebhaften Fischmarkt, auf dem «Masgouf» (gegrillter Karpfen) verkauft wird – Iraks Nationalgericht.
Das einstige Zentrum Mossuls gleicht einer Geisterstadt
Hinter dem Markt wird es Schritt für Schritt ruhiger. Im Maidan, dem einst christlichen Viertel von Mossul, gibt es kein Leben mehr. Nur noch Ruinen stehen hier und unzählige Schilder, die vor Landminen warnen. Hier haben die IS-Kämpfer bis zum Schluss ihrer Besetzung der Stadt im Juli 2017 ausgeharrt. Hinterlassen haben sie ein Trümmerfeld.
Die Erinnerungen an den IS verfolgen mich jeden Tag, noch heute.
Die Minen, welche die Terrormilizen vor dem Rückzug aus Mossul gelegt hatten, wurden mittlerweile geräumt. Davon zeugen die vielen Schriftzüge an den Wänden, auf denen «Safe» (dt. sicher) steht. Dennoch kehrt hier niemand zurück. «Das einstige Stadtzentrum mit vielleicht 400'000 Einwohnern gleicht heute einer Geisterstadt», sagt Ali Barudi.
Nachdenklich führt er seine Tour fort. Auch er lebte während der Terrorjahre in Mossul: «Die Erinnerungen an den IS verfolgen mich jeden Tag, noch heute. Es war eine dunkle Zeit.» Nicht nur Brücken und Häuser seien zusammengebrochen, auch das ganze soziale Leben der Stadt. Er fühlte sich wie von der Aussenwelt abgeschnitten. Wer beim Surfen im Internet erwischt wurde, erhielt die Todesstrafe. Doch das ist nun vorbei. Mossul sei sicher heute.
Wiederaufbau dank der Unesco
Ali Barudi führt seine Tour zum Al-Nabi Jarjis-Schrein, dahinter verbirgt sich ein Quartier, wo das Leben zurückgekehrt ist. Buben spielen Fussball auf neu-gepflasterten Strassen. Lachende Kinder habe man hier lange nicht gehört, sagt der Fotograf Ali Barudi. Die Unesco hat hier 125 Häuser wiederaufgebaut. Zudem ist sie dabei, die grosse Al-Nuri-Moschee zu renovieren, deren grünliche Kuppel von weitem zu sehen ist.
Kein anderes Gebäude symbolisiert die Terrorherrschaft des sogenannten Islamischen Staates so sehr wie die rund 800 Jahre alte Moschee. Hier trat am 4. Juli 2014 der damalige IS-Anführer Abu Baker Al-Bagdadi zum ersten und einzigen Mal öffentlich auf und hielt auf der Kanzel der Al-Nuri-Moschee eine Freitagspredigt. Mit diesem Auftritt machte Al-Bagdadi den Anspruch der Terrormiliz als selbernanntes Kalifat definitiv geltend.
Auf dem Rückzug aus Mossul jagten die Dschihadisten die Moschee und deren Minarett in die Luft. Unfassbar für Ali Barudi: «Wie kann jemand, der sich Muslim nennt, sein eigenes Haus, eine Moschee zerstören?», fragt er noch immer schockiert ob der Brutalität der Milizen.
Die Unesco und die Vereinigten Arabischen Emirate bauen das einst 45 Meter hohe Minarett nun Stein für Stein wieder auf. Dessen Bausteine habe man kilometerweit weg gefunden, das zeuge von der Kraft der Detonation, sagt Ali Barudi. Nur der Sockel ist übrig geblieben. Der Wiederaufbau des Minaretts wird noch eine Weile dauern, doch Ende Jahr soll die Moschee der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden.
Die Wunden der Stadt heilen langsam. Jene in den Köpfen der Menschen wahrscheinlich kaum. Zumal auch heute in Mossul noch Männer leben, die damals am Terror des IS teilgenommen haben. Ideologien sterben nie, sagt Ali Barudi. In den IS-Flüchtlingslagern lebe die IS-Ideologie nach wie vor weiter. Noch heute unterhalten die USA mehrere Lager im Irak und in Syrien mit vielen Tausend IS-Verdächtigen und deren Familien.
Für diese Menschen habe man noch keine Lösung gefunden . Dennoch ist Ali Barudi überzeugt, dass die Dschihadisten nicht mehr nach Mossul zurückkehren würden. «Der IS ist am Ende. Ihm fehlt die Befehlsstruktur, um wieder zu alter Grösse zu wachsen.»
Neues Leben in Mossul
Auch Mossul habe sich verändert, sagt Ali Barudi nun an der belebten Ninive-Strasse, welche zurück zur alten Brücke über den Tigris führt. Die Menschen in Mossul seien offener als zuvor, das soziale Geflecht sei heute stärker als noch vor dem IS. Es scheint, als hätten die Jahre des Terrors die Menschen zusammengeschweisst. Niemand würde dem IS heute in Mossul Einlass gewähren, ist Barudi überzeugt.
Die Mauer der Angst ist durchbrochen. Hoffentlich für immer.
Auch wirtschaftlich geht es langsam aufwärts mit der Stadt. An der Ninive-Strasse reihen sich Restaurants, Fruchtsaftläden, Modeboutiquen und Handy-Geschäfte aneinander. Auch der Internationale Flughafen von Mossul soll bald wiedereröffnet werden. Die Stadt atmet förmlich auf, auch wenn noch vieles zu tun ist. «Doch die Mauer der Angst ist durchbrochen. Hoffentlich für immer», sagt Ali Barudi.
Er ist am Ende seiner Tour durch Mossul angelangt. Seine Erzählungen und seine Fotografien zeichnen ein Bild einer Stadt, die zwar mit Zuversicht vorwärts blickt, deren Narben aber noch ganz verheilt sind.