Viel zu lange habe der Westen in Afghanistan ausgeharrt – und mache jetzt denselben Fehler in Mali. In beiden Fällen sei das Scheitern abzusehen gewesen, und es sei heute offenkundig. Es ist kein politischer Heisssporn, der das sagt, vielmehr Christoph Heusgen, eine der wichtigsten aussenpolitischen Stimmen in Deutschland.
SRF: Herr Heusgen, war das westliche Engagement des Westens von Anfang an ein Fehler?
Christoph Heusgen: Nein. Ich fand unser Engagement in Afghanistan ursprünglich richtig. Es war auch richtig, dass wir beschlossen haben, es nicht nur militärisch zu machen, sondern auch mit humanitärer Hilfe, mit Entwicklungshilfe, mit Wirtschaftshilfe etc.
Doch was lief dann schief?
Wenn wir so etwas machen, müssen wir – als Deutschland, als Schweiz, als Europäische Union – darauf bauen können, dass wir mit den Ländern, mit den Regierungen, mit der Bevölkerung an einem Strang ziehen.
Und das war in Afghanistan nicht der Fall?
Wir haben in Afghanistan erlebt, dass sich die Regierung, die wir unterstützt haben, nicht wirklich um das Gemeinwohl kümmerte. Die Führungsfiguren haben sich in interne Machtkämpfe verstrickt. Sie haben zu wenig zusammengearbeitet. Es herrschte eine enorme Korruption. Und wir haben ja in den letzten Tagen und Wochen erlebt, dass die afghanische Regierung kaum Unterstützung in der Bevölkerung genoss. Wenn das so ist, müssen wir unser Engagement hinterfragen – nicht nur in Afghanistan.
Die Leute wollen Behörden, die funktionieren, eine unabhängige Justiz, staatliche Leistungen. Wir haben es in den vergangenen Jahren versäumt, Druck auf die afghanischen Akteure zu machen, dafür zu sorgen und zusammenzuarbeiten.
Bedeutet «hinterfragen» ein Engagement beenden?
Es geht letztlich darum, dass eine Regierung die Ansprüche und Erwartungen des Volkes erfüllt. Die Leute wollen Behörden, die funktionieren, eine unabhängige Justiz, staatliche Leistungen. Wir haben es in den vergangenen Jahren versäumt, Druck auf die afghanischen Akteure zu machen, dafür zu sorgen und zusammenzuarbeiten. Es braucht klare Bedingungen. Und wenn sie nicht erfüllt werden, dann müsste man in der Tat früher die Konsequenzen ziehen. Dann gehen wir raus und setzen uns anderswo ein.
Und wenden Afghanistan den Rücken zu?
Ja, mit einer Ausnahme. Wir müssen uns auf jeden Fall in der humanitären Hilfe weiter engagieren, in der Hilfe, die einzelnen Menschen das Überleben sichert.
Wir sollten uns umorientieren auf Länder, deren Regierungen sich nach den internationalen Regeln verhalten und sich um gute Regierungsführung bemühen.
Bedeutet Ihre Einschätzung, dass sich der Westen künftig weltweit deutlich weniger einsetzen soll?
Nicht weniger, aber anderswo. Wir sollten uns umorientieren auf Länder, deren Regierungen sich nach den internationalen Regeln verhalten und sich um gute Regierungsführung bemühen. Wir sollten Allianzen schmieden mit jenen Ländern, die sich an das Völkerrecht, an die UNO-Charta, an die UNO-Menschenrechtserklärung halten. Das sind universelle Grundlagen.
Deutschland ist, zusammen mit Frankreich, auch in Mali militärisch stark engagiert. Läuft es dort besser als in Afghanistan?
Auch dort sollten wir darauf pochen, dass die Regierung in Bamako tut, was sie vereinbart hat mit der internationalen Gemeinschaft. Sie hat versprochen, sich um den Norden des Landes, um die Unterentwicklung des Nordens zu kümmern. Aber sie hat bis heute nichts getan. Es finden Militärputschs statt. Die jeweils Regierenden kümmern sich nur um ihre eigene Klientel, ihre eigene Volksgruppe. Es werden, obschon das dringlich wäre, keine Schulen geöffnet. Es passiert nichts, um die Justiz unabhängiger zu machen.
Also ist auch das Engagement in Mali nicht wirklich sinnvoll?
Wir haben – als internationale Staatengemeinschaft, als Europäer, als Länder, die sich dem internationalen Recht verpflichtet fühlen – ein grosses Interesse, uns weltweit zu engagieren. Aber wir sollten es tun mit Regierungen, bei denen wir den festen Eindruck haben, dass sie sich tatsächlich um das Wohlergehen ihrer eigenen Bevölkerung bemühen.
Was wäre denn ein solches Land?
Schauen Sie sich das Nachbarland von Mali an, schauen Sie sich Niger an. Ein Land, das mindestens so arm ist wie Mali. Aber dort richtet man sich nach der Verfassung. Der alte Präsident ist zurückgetreten, ein neuer wurde gewählt. Dort bemüht man sich zumindest, trotz schwieriger Bedingungen, die Situation der Bevölkerung zu verbessern. Das ist ein Partner, mit dem man stärker zusammenarbeiten sollte.
Es wäre ein Signal an Regierungen: Bei guter Regierungsführung gibt es die Unterstützung des Westens.
Sie plädieren also nicht für weniger internationales Engagement, jedoch für ein anderes?
Genau. Gehen Sie nach Senegal. Gehen Sie nach Botswana. Oder sehen Sie die Bemühungen des südafrikanischen Präsidenten, sein Land aus der Vetternwirtschaft herauszuholen. In diesen Ländern gibt es Ansätze, wo wir nachstossen und die Regierungen entsprechend unterstützen sollten. Würden wir uns so orientieren, wäre das auch für unser Ansehen sehr viel besser. Und es wäre ein Signal an Regierungen, die dann sähen: Bei guter Regierungsführung gibt es die Unterstützung des Westens.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.