Mit der Annexion der vier besetzten ukrainischen Regionen verschiebt Russland erstmals seit der Einverleibung der Schwarzmeer-Halbinsel Krim 2014 wieder gewaltsam Grenzen in Europa. Die Vereinten Nationen kritisieren dies als Völkerrechtsbruch. Die Ukraine fordert schwere Waffen vom Westen, um die Gebiete zu befreien, und verlangt von der EU und den USA noch härtere Sanktionen. Der bereits seit sieben Monaten andauernde Krieg geht damit in eine neue Phase. Wie es nun weiter geht, dazu einige Fragen und Antworten.
Wie sind die Annexionen ukrainischer Gebiete abgelaufen – und was bedeuten sie für den Krieg?
Moskau hat mit den eigens eingesetzten russischen Führungen der ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja auf deren Antrag Verträge über die Aufnahme in sein Staatsgebiet abgeschlossen. Nun sollen die Dokumente noch vom russischen Verfassungsgericht geprüft und kommende Woche vom russischen Parlament – der Staatsduma – und dem Föderationsrat – dem Oberhaus – besiegelt werden. Den Krieg dürfte das weiter anfachen, weil die Ukraine Teile der Gebiete kontrolliert und sie mit Hilfe westlicher Waffen komplett befreien will.
Droht nun eine Eskalation?
«Wladimir Putin ist heute sehr aggressiv aufgetreten. Er hat alles andere als einen deeskalierenden Eindruck auf mich gemacht», erklärt SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky. Seine Mittel, die er für eine unmittelbare Eskalation zur Verfügung hat, seien aber sehr beschränkt. Man müsse sich vorstellen: Seine Soldaten stünden einer besser ausgerüsteten und viel motivierteren ukrainischen Armee gegenüber. «Deswegen würde ich den Einsatz von taktischen Atomwaffen nicht ganz ausschliessen, wenn der russische Präsident wirklich keinen anderen Ausweg sehen sollte.»
Die Schlangen an den Grenzen zur Ausreise aus Russland sind deutlich länger als die Schlangen vor dem Kreml.
Wie gross ist das Gebiet – und was bedeutet die Annexion für die Menschen dort?
Es geht um eine Fläche von über 108'000 Quadratkilometern. Das entspricht der zweieinhalbfachen Grösse der Schweiz. Einschliesslich der bereits auf ähnliche Weise 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim verliert die Ukraine die Kontrolle über fast 20 Prozent ihres Staatsgebiets. Wie schon damals ist eine internationale Anerkennung auch diesmal nicht in Sicht. Eine Rückgabe der Gebiete über diplomatische Verhandlungen schliesst Moskau aus.
Russland wirbt bei den Menschen mit einer historischen Heimkehr zum Mutterland und mit höheren Renten und Sozialleistungen als in der Ukraine. Wie bei der Krim-Annexion sollen die Menschen automatisch russische Staatsbürger werden. Auf der Halbinsel hatten Bürger damals übergangsweise Zeit, sich aktiv dagegen auszusprechen und nach einer Erklärung die ukrainische Staatsbürgerschaft zu behalten.
Wie gross ist der Rückhalt für Putin?
«Der Rückhalt für Wladimir Putin ist seit der Erklärung der Mobilisierung ganz klar schwindend», sagt Luzia Tschirky weiter. Man sehe jetzt zwar in Inszenierungen des Fernsehens Tausende Menschen, die vor den Kreml gefahren wurden. «Aber die Schlangen an den Grenzen zur Ausreise aus Russland sind deutlich länger als die Schlangen vor dem Kreml.» Es zeige sich doch deutlich, dass Putin am 21. September mit der Teilmobilmachung eigentlich eine Vereinbarung gebrochen habe, die zwischen ihm und dem Volk galt, nämlich: ich, der Präsident, konsolidiere meine Macht und lasse Euch dafür in Ruhe. Wenn jetzt aber die Leute eingezogen würden, dann gelte diese Vereinbarung nicht mehr und damit nehme doch die Unterstützung im Volk zunehmend ab.