Washington sieht in den geleakten US-Militärgeheimnissen zum Krieg in der Ukraine ein grosses Sicherheitsrisiko. Nun bemüht man sich um Aufklärung. SRF-Korrespondent Fredy Gsteiger erklärt, was das Leck über den US-Geheimdienst aussagt und was die Informationen der russischen Führung in Moskau bringen.
SRF: Was weiss man Gesichertes über die Leaks?
Fredy Gsteiger: Man weiss, dass es um sehr viele Informationen und heikle Themenbereiche geht – Ukrainekonflikt, Nahost, Israel, Afrika, Ostasien, Südkorea, Taiwan und so weiter. Am konkretesten sind wohl jene Informationen zur Ukraine. Dort gibt es Angaben über den Frontverlauf, über den Munitionsverbrauch, über den Standort von ukrainischen, aber auch von russischen Truppen. Und man erfährt auch einiges über die Pläne der erwarteten Frühjahrsoffensive der Ukraine – zu den Waffenlieferungen, wie weit die ukrainischen Truppen vorbereitet sind.
Die These, dass es sich um eine russische Desinformationskampagne handeln sollte, lässt sich inzwischen weitgehend verwerfen.
Die These, dass es sich bei dem Ganzen um eine russische Desinformationskampagne handeln sollte – also dass Russland gezielt Informationen gefälscht hat, um Zwietracht und Irritation zu säen unter westlichen Ländern –, diese These lässt sich inzwischen weitgehend verwerfen. Aber es ist wohl so, dass zum Teil nachträglich gewisse Informationen von russischer Seite gefälscht wurden.
Wie schlimm ist dieses Leck?
Es ist natürlich schlimm. Zum einen wegen der konkreten Situation, denn man erwartet in den nächsten Wochen eine ukrainische Gegenoffensive. Wenn nun Pläne dafür auch der russischen Seite bekannt werden, dann kann die Offensive nicht so stattfinden, wie sie ursprünglich geplant war. Man muss die Planung ändern. Das ist auf dem Papier einfach, auf dem Terrain aber schwierig, weil es ja um Truppenverschiebungen geht. Die Offensive könnte gefährdet sein.
Die Offensive könnte gefährdet sein.
Es gibt auch eine zweite Gefahr: Aufgrund der Dokumente sieht man, was die Amerikaner über russische Kriegsvorbereitungen wissen. Sie stützen sich wohl auch auf Informanten in Russland selber. Man könnte nun herausfinden, wer die USA mit Informationen beliefert hat. Das ist eine unmittelbare, auch physische Gefahr für die Informanten. Und das dritte ist der allgemeine Vertrauensverlust, der durch solche Lecks entsteht. Man stellt sich jetzt in vielen Ländern die Frage, wie sicher Informationen sind, die man den USA geliefert hat.
Was sagt dieser Vorfall über den US-Geheimdienstapparat aus?
Der US-Geheimdienst ist riesig. Er zählt Zehntausende von Angestellten. Es sind Dutzende von Organisationen beteiligt. Diese Lecks betreffen auch nicht nur Quellen aus den Geheimdiensten, sondern zusätzlich auch noch aus dem Oberkommando der Streitkräfte. Von den Amerikanern wird selber gesagt, dass Hunderte eingeweiht wurden, also Zugang zu diesen Informationen hatten.
Wird der Kreml die Informationen nutzen können?
Kremlsprecher Dmitri Peskow hat bereits gesagt, man finde diese Lecks durchaus interessant. Russland erhält allenfalls ein klareres Bild über die militärischen Möglichkeiten der Ukraine, über die konkreten Vorbereitungen für die Frühjahrsoffensive. Russland kann sich besser wappnen gegen diese ukrainische Gegenoffensive, kann selber Truppen entsprechend verschieben, die Abwehr besser vorbereiten. Und es ist natürlich kein Zufall, dass man in Kiew nun versucht, Gelassenheit zu demonstrieren und betont, es sei nichts Entscheidendes durch diese Lecks bekannt geworden.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.