In der «Partygate»-Affäre um Feiern während des Corona-Lockdowns hat der britische Premierminister Boris Johnson einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Britische Abgeordnete brachten am Donnerstag einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss auf den Weg. Dabei soll geprüft werden, ob Johnson in seinen ersten Reaktionen auf Partygate-Berichte das Parlament in die Irre geführt hat.
Der Entscheid fiel einstimmig – obwohl es lange schien, als ob Johnson mit einem blauen Auge davonkommen würde. Nun wird zum ersten Mal in der britischen Geschichte eine solche Untersuchung gegen einen amtierenden Premierminister eingeleitet.
SRF-Korrespondent Patrik Wülser zeigt sich überrascht ob des klaren Entscheids. Denn Johnsons konservative Partei verfügt im Parlament über eine satte Mehrheit. «Das zeigt, dass auch die Tories mit dem seltsamen Umgang ihres Premierministers mit der Wahrheit langsam ein Problem haben.»
Johnson hatte zunächst einen Regelbruch verneint, ein interner Bericht stellte dann aber Partys mit Alkoholkonsum fest. Inzwischen musste Johnson auch eine Geldstrafe wegen Verstosses gegen die damals geltenden Corona-Vorschriften zahlen.
Johnson lehnt Rücktritt weiter ab
Für Johnson könnte es nun politisch ums Ganze gehen: Sollte der Ausschuss zum Schluss kommen, dass Johnson das Parlament belogen hat, hätte dies womöglich gravierende Folgen. «Gemäss dem ministeriellen Verhaltenskodex wäre eine solche Lüge für einen Premierminister ein Rücktrittsgrund», sagt Wülser.
Johnson selbst hat sich inzwischen entschuldigt und erklärt, er habe gar nicht bemerkt, dass er gegen Regeln verstossen habe. Dennoch haben sich auch Politiker seiner konservativen Partei von ihm abgewandt und zum Rücktritt aufgefordert. Johnson lehnt das bislang ab. Von seinem Staatsbesuch in Indien liess er verlauten, man solle sich doch wieder wichtigeren Dingen zuwenden.
Schamgefühl war noch nie die herausragende Eigenschaft von Boris Johnson.
Korrespondent Wülser folgert: «Die Unterstützung für Johnson erodiert in der eigenen Partei.» Doch die Tories befänden sich in einem Dilemma: Mit durchaus gutem Grund argumentierten sie, dass es mit der aktuellen Bedrohungslage in Europa ein denkbar schlechter Zeitpunkt sei, den Premier zu wechseln.
So sieht es etwa «Daily Telegraph»: Laut dem konservativen Blatt würde sich Putin die Hände reiben, wenn sich die Briten nun während Wochen und Monaten mit der Nachfolgediskussion beschäftigen müssten. «Andererseits muss man sich aber auch fragen, ob die chronische Ablenkung durch Johnsons Eskapaden und Lügengebäude nicht auf die Dauer lähmender und schädlicher ist», sagt Wülser.
Schliesslich bröckelt die Unterstützung auch in der Bevölkerung. Laut Umfragen halten 80 Prozent der Britinnen und Briten ihren eigenen Premierminister für einen Lügner. «Und das ist nicht eben die Person, der man das höchste Amt im Staat anvertrauen möchte», sagt Wülser. Auch im Gespräch mit den Menschen in London spüre er, dass sich viele für das Benehmen des Premiers schämen. «Aber Schamgefühl war noch nie die herausragende Eigenschaft von Boris Johnson.»