Häuser, übersät mit Einschusslöchern: Durch das Quartier Al-Ansari im Süden von Aleppo verlief früher die Frontlinie. Von vielen Häusern stehen hier nur noch die Grundmauern.
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Bild 1 von 3. Die Zerstörung ist gross: Einschusslöcher übersähen die Hausfassaden im Quartier Al-Ansari im Süden der syrischen Stadt Aleppo. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 3. Durch dieses Quartier verlief früher die Frontlinie. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 3. Viele der Geflüchteten ziehen nun wieder in ihre zerstörten Häuser zurück. Bildquelle: SRF.
Mitten in der Zerstörung steht der 16-jährige Thaer Sayyad. Trotz klirrender Kälte trägt er nur eine dünne Jacke – wärmere Kleider hat er nicht. Thaer hat einen kleinen Tisch aufgebaut, darauf steht ein alter Kanister. Er verkauft ein paar Liter Masod, billiges Schweröl zum Heizen.
Thaer muss alleine für seine Mutter und die beiden Schwestern sorgen. «Früher hatten wir einen Bauernhof ausserhalb von Aleppo. Er wurde im Krieg zerstört. Wir sind geflüchtet und wurden zuletzt immer wieder vertrieben. Deshalb leben wir nun in diesem Quartier.»
Kinderarbeit weit verbreitet
Kinderarbeit ist in Syrien weit verbreitet. Das UNO-Entwicklungsprogramm Undp schätzt, dass rund 40 bis 50 Prozent der Kinder nicht zur Schule gehen. Viele müssen arbeiten, um zum Haushaltseinkommen beizutragen. So auch die Kinder von Dalal Muhammad, die wegen der Kälte ihr Kopftuch bis unter die Nase hochgezogen hat: «Mein Mann ist krank, deshalb schicke ich schon meine 10-jährigen Kinder zur Arbeit», erzählt sie.
Die Kinder würden in einer Schneiderei und einer Autowerkstatt arbeiten. «Kinderreiche Familien haben es leichter – jene mit wenigen Kindern kommen kam durch. Ich habe insgesamt 11 Kinder, aber auch bei uns reicht das Geld kaum.»
Grosse Armut, riesige Zerstörung
Heute leben in Syrien neun von zehn Menschen in Armut. Aleppo galt einst als wirtschaftliches Zentrum des Landes und war im Bürgerkrieg heftig umkämpft. Assads Truppen warfen etwa Fassbomben ab: auf zivile Ziele in den von den Rebellen besetzten Gebieten. Ganze Wohnquartiere wurden so dem Erdboden gleichgemacht.
Nun, nach dem Sturz des Assad-Regimes, kehrt wieder Leben in diese zerstörten Quartiere zurück. Auf einem teilweise eingestürzten Haus steht in roter Schrift «zu verkaufen» geschrieben. Und tatsächlich hat sich Omar Al-Hajj die Wohnung im ersten Stock des baufälligen Hauses gekauft.
Al-Hajj war während des Kriegs in die Türkei geflüchtet. Vor wenigen Wochen ist er zurückgekehrt. Sein altes Zuhause in Syrien wurde zerstört, nun will er sich hier ein neues Leben aufbauen. «Um diese Wohnung kaufen zu können, haben wir all unser Geld zusammengekratzt. Es gibt keine Alternative. Wo soll ich sonst hin?» Zweckoptimismus – mangels Alternativen.
Suche nach Vermissten
Traurige Schicksale: An jeder Ecke in diesem Quartier treffen wir auf sie. Zahra Al-Abds Sohn wurde vor acht Jahren während des Kriegs von Assads Leuten verhaftet und ins berüchtigte Foltergefängnis Saidnaya gebracht. Bis heute fehlt von ihm jede Spur.
«Als bekannt wurde, dass die Gefängnisse befreit wurden, habe ich Hoffnung geschöpft, meinen Sohn doch noch zu finden. Ich habe zu Gott gebetet, dass wir ihn finden.» Gerne würde sie selber nach ihm suchen, aber: «Leider habe ich zu wenig Geld, um rumzufahren und vor Ort nach ihm zu suchen.»
Wie Zahra Al-Abd geht es Tausenden anderen in Syrien, die auch drei Monate nach dem Sturz des Assad-Regimes immer noch nach Angehörigen suchen.
Zerstörung, Verzweiflung, aber auch Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Das Quartier Al-Ansari in Aleppo steht stellvertretend für so viele Orte in Syrien, die im Krieg zerstört worden sind.