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Was der Tod von Nasrallah bedeutet
Aus Echo der Zeit vom 28.09.2024. Bild: Keystone/AP/Hussein Malla
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Nach Tötung von Nasrallah «Stimmung bei der Hisbollah war seltsam ruhig und gedrückt»

Die Nachricht vom Tod des Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallah erschüttert den Nahen Osten. Der Spiegel-Journalist Christoph Reuter ist derzeit in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Er berichtet aus einer Stadt der Kontraste: Schockstarre dort, wo die Bomben fallen. Und so etwas wie Alltag im Rest der Metropole.

Christoph Reuter

Journalist

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Der deutsche Journalist und Kriegsberichterstatter Christoph Reuter berichtet als Reporter für das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel».

SRF News: Was löst die Nachricht von Nasrallahs Tod in Beirut aus?

Christoph Reuter: Das hängt vom Empfänger ab. Hisbollah-Mitglieder fahren auf ihren Vespas umher und versuchen die Menschen davon abzuhalten, Dahieh zu verlassen, die Hochburg der Miliz. Sie haben Tränen in den Augen. Im Osten Beiruts waren Schüsse zu hören – es dürften Freudenschüsse gewesen sein. So gespalten wie das Land ist, sind auch die Reaktionen auf Nasrallahs Tod.

Menschen blicken in den Süden von Beirut, wo israelische Raketen einschlagen.
Legende: Schockstarre in den südlichen Vororten, wo die Hisbollah dominiert. Im Osten Beiruts sind die Läden und Cafés geöffnet, es herrscht gespannte Ruhe. «Aber das Leben geht normal weiter», sagt Reuter. Keystone/AP/HUSSEIN MALLA

Sie waren am Freitag dort, wo sich das mutmassliche Hauptquartier der Hisbollah befand. Was haben Sie angetroffen?

Wir waren rund vier Stunden nach dem israelischen Luftangriff dort. In der Luft lag noch immer ein stechender Geruch, der an Tränengas erinnerte. Dutzende Feuerwehrleute waren im Einsatz. Sie waren aber überhaupt nicht für solch einen Einsatz ausgerüstet. Die Ein-Tonnen-Bomben der Israelis haben gewaltige Detonationen ausgelöst und ganze Häuserblocks verschwinden lassen. In der Strasse waren Krater, noch weit entfernt stürzten Tunnels ein.

Die Flüchtlinge lagern nun in anderen Teilen Beiruts, am Strand, auf den Sportplätzen, in den Parks, vor den Moscheen.

Die libanesische Armee steht gewissermassen zwischen den Fronten und ist jeweils dafür zuständig, Strassen zu sperren, damit es nicht zu Plünderungen oder irgendwelchen Kurzschlussreaktionen kommt. Ich habe erwartet, dass die Hisbollah-Mitglieder ausser sich vor Wut sein würden. Aber die Stimmung war seltsam ruhig und gedrückt, als ob sie alle komplett unter Schock stünden.

Mehr als 1000 Tote innerhalb weniger Tage

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Legende: Israelischer Luftangriff in Vorort von Beirut am 28. September. Keystone/AP/Hussein Malla

Die Zahl der Opfer israelischer Angriffe im Libanon steigt nach Behördenangaben weiter an. Allein vom 16. bis einschliesslich 27. September wurden bei israelischen Angriffen im Libanon 1030 Menschen getötet, wie das Gesundheitsministerium mitteilte. Darunter seien 87 Kinder und 56 Frauen gewesen. In der Zeitspanne bis einschliesslich Donnerstag seien ausserdem rund 6300 Menschen verletzt worden.

Die Zahl der Todesopfer von dem massiven Angriff auf einen Beiruter Vorort am Freitag stieg den Angaben zufolge auf elf. Das Ministerium meldete, dass 108 weitere Personen verletzt worden seien. Bei dem Angriff wurde auch Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah getötet.

Insgesamt wurden seit Ausbruch der Kämpfe zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär am 8. Oktober vergangenen Jahres dem Ministerium zufolge bisher 1640 Menschen getötet, darunter 104 Kinder und 194 Frauen. Insgesamt seien 8408 Menschen verletzt worden.

Heute Nachmittag war in Dahieh kein Mensch mehr auf der Strasse. Alle waren weg, als wir dort durchgerast sind. Über den Tag hinweg gab es dort weitere Bombardements. Die Flüchtlinge lagern nun in anderen Teilen Beiruts, am Strand, auf den Sportplätzen, in den Parks, vor den Moscheen. Ganze Familien liegen an der Uferpromenade Beiruts auf dünnen Schaumstoffmatratzen. Neben ihnen sind die Angler, die dort jeden Tag stehen, und angeln einfach weiter.

 Ganze Familien liegen an der Uferpromenade Beiruts.
Legende: Ganze Familien liegen an der Corniche, der Uferpromenade Beiruts. Zum Teil würden die Geflüchteten von den Anwohnern versorgt, berichtet Reuter. Auch die Stadtverwaltung versuche zu helfen. Keystone/AP/BILAL HUSSEIN

Wie geht es mit der Hisbollah jetzt weiter?

Die grosse Frage ist, ob jetzt das passiert, wovor fast zwölf Monate lang alle gewarnt haben: Setzt die Hisbollah nun ihr Arsenal an weitreichenden Mittelstreckenraten mit Sprengköpfen von bis zu einer Tonne ein? Es ist komplett unklar, was die verbliebenen Feldkommandanten jetzt tun werden.

Jetzt stehen die Israeli vor einer womöglich fragmentierten Bewegung mit einem irren Waffenarsenal, die niemand mehr unter Kontrolle hat.

Ebenso wenig lässt sich einschätzen, ob diese Miliz und Partei in der heutigen Form erhalten bleibt. Unter der 32 Jahre andauernden Führung von Nasrallah schien die Organisation monolithisch und geschlossen. Es könnte sein, dass sich die radikaleren Teile der Hisbollah aus der Bekaa-Ebene nun abspalten. Sie drängen auf Vergeltung und militärische Aktionen.

Tödliche Präzision der israelischen Armee

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Legende: Krater nach israelischem Bombardement im Süden Beiruts (28. September). Keystone/EPA/WAEL HAMZEH

Die Hisbollah ist weitgehend führungslos: Die Israeli haben mittlerweile die meisten Kaderleute der Miliz getötet. «Sie wussten offenbar sehr genau, in welcher Minute sich welche Person in welchem Stockwerk welches Hauses befindet», berichtet Reuter.

Unter der Woche hat Israel Mohammed Hussein Srur im Süden von Beirut ausgeschaltet, den Kommandanten der Drohneneinheit der Hisbollah. Hassan Nasrallah und weitere hochrangige Angehörige der Miliz sollen sich am Freitag im Kellergeschoss desselben Gebäudes befunden haben, hat Reuter von Hisbollah-Mitgliedern erfahren. «Diese Leute regen sich furchtbar darüber auf, wie man nach Monaten gezielter israelischer Schläge so doof sein konnte, die gesamte Führung an einem Ort zu versammeln.»

Die Israeli haben es zwar geschafft, ihren erklärten Erzfeind im Libanon umzubringen. Andererseits haben sie den einzigen Menschen ausgeschaltet, der die Hisbollah kontrollieren konnte. Jetzt stehen die Israeli vor einer womöglich fragmentierten Bewegung mit einem irren Waffenarsenal, die niemand mehr unter Kontrolle hat.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

Echo der Zeit, 28.09.2024, 18 Uhr ; 

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