Die Europäische Union gibt sich abgeklärt. Diplomatisch routiniert wird dem neugewählten US-Präsidenten gratuliert. Man kenne Donald Trump aus seiner ersten Amtszeit, heisst es. Es sei nicht der erste «Rodeo», den man mit Trump habe, sagte ein EU-Diplomat.
Doch dieser Rodeo könnte für Europa diesmal deutlich ruppiger werden. Inzwischen hat Russland die Ukraine angegriffen und die europäische Wirtschaft ist stark ins Stottern geraten.
Und jetzt geht mit Donald Trumps Wahl und Joe Bidens baldigem Abschied aus dem Amt auch die Ära der transatlantischen amerikanischen Präsidenten wohl endgültig zu Ende. Das wäre zwar in der Tendenz auch bei einer Wahl von Kamala Harris der Fall gewesen, doch der Sieg von Donald Trump dürfte die Distanzierung Amerikas vom alten Kontinent deutlich beschleunigen. «America First» ist mit voller Kraft zurück.
Europa wird einsamer
Europa wird künftig einsamer dastehen. Höhere amerikanische Zölle auf Importe aus der EU könnten der europäischen Wirtschaft einen weiteren Schlag versetzen. Das Risiko, dass europäische Unternehmen ganz in die USA abwandern, dürfte weiter steigen.
Und dann ist da vor allem die Sache mit der europäischen Sicherheit. Donald Trump hat bei zahlreichen Gelegenheiten klargemacht, dass die USA unter seiner Führung nicht mehr im heutigen Mass für Europas Sicherheit mitzahlen wollen. Man könne Europas Sicherheit nicht weiterhin den USA überlassen, sagte der französische Präsident Macron denn auch am Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs nach der US-Wahl in Budapest.
«Europäische Einigkeit» – nur eine Floskel?
Doch was würde das bedeuten? Vor allem, dass die europäischen Staaten künftig massiv mehr für ihre Rüstung ausgeben müssten. Doch niemand weiss wirklich, woher dieses Geld kommen soll. Und wenn man das in der EU nicht weiss, dann werden schnell gemeinsame Schulden ins Spiel gebracht. Und diese wiederum sind in der EU politisch höchst umstritten. Wenn es ums Geld geht, dann ist es mit der Einigkeit in der Union besonders schnell vorbei.
Das geopolitische Umfeld Europas ändert sich gerade rasant. Ob es Europa – und insbesondere der EU – gelingt, mit diesem Tempo mitzuhalten? Zweifel sind angebracht. Es kann nur gelingen, wenn die «europäische Einigkeit» für einmal keine politische Floskel bleibt. Es ist die Zeit der grossen Aufgaben – und Europas Stunde der Wahrheit.