Kaum stand der Wahlsieger in den USA fest, kamen aus Kiew warme Worte: Er gratuliere Donald Trump zum «eindrücklichen Wahlsieg», schrieb Wolodimir Selenski auf der Plattform X. Und, so der ukrainische Präsident weiter: Er freue sich auf starke Vereinigte Staaten unter Trumps «entschlossener Führung». Doch bei aller Freundlichkeit: Trumps Wahl könnte für die Ukraine zur existenziellen Gefahr werden.
Trump hat im Wahlkampf gedroht, dass er die US-Waffenhilfe einstellen könnte. Zudem prahlte er, er werde den Krieg innert 24 Stunden beenden. Klar ist: Ohne amerikanische Waffen wird es für die ukrainische Armee auf Dauer sehr schwer, die anstürmenden Russen aufzuhalten. Schon jetzt stehen Kiews Truppen an der Ostfront massiv unter Druck.
Belohnt ein Trump-Frieden die russischen Aggressoren?
Trumps Plan, Frieden zu schaffen, klingt auf den ersten Blick positiv. Wer möchte nicht, dass dieser Krieg endlich ein Ende findet? Doch das Szenario für einen solchen Trump-Frieden könnte Medienberichten zufolge so aussehen: Die Ukraine müsste grosse Gebiete an Russland abtreten – im Austausch für ein Ende der Kämpfe. Robuste Sicherheitsgarantien für die Zeit danach – etwa einen Nato-Beitritt – dürfte der künftige US-Präsident der Ukraine jedoch nicht geben.
Aus ukrainischer Sicht wäre eine solche Entwicklung aus vielen Gründen problematisch: Russland würde für seine Aggression belohnt – zudem wäre die Ukraine ohne ausreichend US-Waffenhilfe neuen russischen Angriffen weitgehend schutzlos ausgeliefert. Und mit solchen wäre zu rechnen. Denn der Kreml macht kein Geheimnis daraus, dass er nicht nur den Osten und Süden der Ukraine kontrollieren will, sondern das ganze Land. Trumps Deal wäre ein Diktatfrieden auf Zeit für Kiew – eigentlich eine Kapitulation.
Hoffen auf Trumps Sprunghaftigkeit
Gleichwohl herrscht am Tag nach der US-Wahl in der Ukraine keine Panik. Nicht nur Selenski hat gelassen reagiert. Auch viele Ukrainerinnen und Ukrainer geben sich entspannt, sei es auf der Strasse oder in sozialen Netzwerken. Ganz nach dem Motto: Schauen wir mal, was kommt.
Es ist wohl die Reaktion eines Volkes, das schon bald drei Jahre um sein Überleben kämpft. Da bringt einem nichts so schnell aus der Ruhe. Manche Ukrainerinnen und Ukrainer hoffen sogar auf die Sprunghaftigkeit von Trump: dass er es sich plötzlich anders überlegt und die Ukraine doch massiv mit Waffen versorgt.
Rational unterlegt sind diese Hoffnungen nicht. Denn der von Medien skizzierte «Trump-Friedensplan» passt zu seinen langjährigen politischen Präferenzen: Er unterscheidet nicht zwischen demokratisch gewählten Staatschefs und Diktatoren – ja, er scheint manche Autokraten geradezu zu bewundern. Zudem gilt für ihn: America first. Warum soll er da plötzlich grosse Summen amerikanisches Steuergeld locker machen, um einem Land im fernen Osteuropa zu helfen?
Aus all dem folgt: Nach der Wahl Trumps könnten harte, sehr harte Zeiten auf die Ukraine zukommen. Aber viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind überzeugt, dass sie auch dies überstehen werden.