Zum zweiten Jahrestag des Kriegs in der Ukraine bereitet die EU das mittlerweile 13. Sanktionspaket gegen Russland vor. Weitere Personen und Unternehmen sollen unter das Regime fallen. Christian von Soest hat mehrere Forschungsprojekte zur Effektivität von internationalen Sanktionen geleitet. Er erklärt, was sie im Fall von Russland bewirken können – und wo sie an ihre Grenzen stossen.
SRF News: Erfüllen die Sanktionen gegen Russland ihren Zweck?
Christian von Soest: Die Erwartungen, die russischen Truppen mit wirtschaftlichen Waffen zu einem Rückzug zu zwingen, waren von vornherein sehr unrealistisch. Wir haben es mit einem Angriffskrieg Russlands zu tun. Hier wirken Sanktionen im Verbund mit Waffenlieferungen sowie wirtschaftlicher und humanitärer Unterstützung für die Ukraine. Die Wirkung von Zwangsmassnahmen kann man nur vor diesem Gesamtbild beurteilen.
Für sich allein genommen sind Zwangsmassnahmen aber kein Wundermittel?
Sanktionen sind kein Wundermittel. Das zeigt die Forschung eindeutig. Unter bestimmten Bedingungen können sie eher Wirkung entfalten. Das tun sie besonders gegen demokratische Ziele.
Im Fall von Russland sind die Faktoren nicht gegeben, die Sanktionen sehr wirksam machen.
Die meisten Ziele, die man mit Sanktionen in den Blick nimmt, sind allerdings Autokratien. Sanktionen wirken auch besonders gut, wenn es enge Beziehungen zwischen den Sanktionsmächten und dem Sanktionsziel gibt und wenn der Zielstaat wirtschaftlich schwach ist.
Im Fall von Russland sind die Faktoren nicht gegeben, die Sanktionen sehr wirksam machen. Russland ist ein sehr mächtiges Land. Die Volkswirtschaft ist etwa so gross wie diejenige von Spanien und das Land exportiert wichtige Güter wie Öl und Gas. Zudem ist Russland ein ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat. Damit hat es international eine sehr starke Machtposition.
Der Finanzbereich ist das schärfste Schwert der Sanktionen. Hier spielt auch die Schweiz eine wichtige Rolle.
Die Russland-Sanktionen richten sich auch gezielt gegen Putins Entourage in Politik und Wirtschaft und sollen nicht die breite Bevölkerung des Landes treffen. Gelingt das?
Die Sanktionen nehmen vier Bereiche in den Blick. Dazu gehört der Finanzbereich, der das schärfste Schwert der Sanktionen ist. Hier spielt auch die Schweiz eine wichtige Rolle. Ein weiterer Bereich sind Embargos gegen bestimmte Güter im Technologiesektor und gegenüber Ressourcen. Dazu kommen individuelle Sanktionen wie Einreisesperren und Beschlagnahmungen von Eigentum im Westen.
Zum zweiten Jahrestag des vollständigen Angriffs Russlands auf die Ukraine wird es nun neue Sanktionen der EU geben. Diesen werden zahlreiche Staaten folgen, auch die Schweiz dürfte das tun. Das ist ein wichtiges Signal, auch wenn es Russland nicht zum Einlenken bewegen wird. Denn so kommt der wirtschaftliche Druck bei den Entscheidungsträgern an – den Politikern, Unternehmern und weiteren Unterstützern des Kremls.
Offensichtlich gibt es im Sanktionsregime Schlupflöcher. Russisches Öl gelangt etwa via Indien in den Westen. Lassen sich solche Umgehungsgeschäfte überhaupt vermeiden?
Es ist ein bekanntes Phänomen, dass Sanktionen umgangen werden. Auch Sanktionsziele wie Iran oder Nordkorea versuchen, durch Löcher im Zaun zu schlüpfen. Im Fall von Russland ist das noch einmal extremer. Westliche Staaten versuchen allerdings auch, das russische Öl auf dem Weltmarkt zu belassen, um grosse Preissteigerungen zu vermeiden. Aus meiner Sicht ist es aber gerade für europäische Staaten eine Frage der Glaubwürdigkeit, dafür zu sorgen, dass russisches Öl oder auch Gas nicht über die Hintertür wieder nach Europa importiert werden.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.