Israel ist im Krieg. Und im Krieg ist Wahrheit bekanntlich das erste Opfer. Die meisten israelischen Medien sind stramm auf Regierungslinie. Es gibt nur wenige Ausnahmen: darunter die Tageszeitung Haaretz und die öffentlich-rechtlichen Sender von KAN. Premier Netanjahus Regierung hat einen Totalboykott von Haaretz beschlossen: keine Inserate, keine Kontakte zu den Journalistinnen und Journalisten mehr. Und die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt KAN soll liquidiert und privatisiert werden: Das entsprechende Gesetz wird bereits vom Parlament behandelt.
«Haaretz-Boykott-Gesetz»
Warum der Angriff auf Haaretz? Angeblich wegen einer «terrorfreundlichen» Rede, die Herausgeber Amos Schocken unlängst in London gehalten hat. Über seine Wortwahl kann man streiten, ebenso über einige Kommentare, welche die Redaktion im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Tatsache ist jedoch: Netanjahus Kommunikationsminister Shlomo Karhi legte der Regierung schon vor einem Jahr ein «Haaretz-Boykott-Gesetz» vor, also lange vor der beanstandeten Rede des Herausgebers. Beim öffentlich-rechtlichen KAN ging die Regierung ähnlich vor, obwohl Israels Oberstaatsanwältin Gali Baharav-Miara vor einem solchen Angriff auf Israels Public Broadcasting Corporation KAN gewarnt hatte. In einer Art Nacht-und-Nebel-Aktion brachte die Regierung das Gesetz, das KAN privatisieren soll, trotzdem vors Parlament.
Das Timing der Angriffe auf die letzten Bastionen der Medienfreiheit in Israel ist kein Zufall: Enge Vertraute Netanjahus stehen im Verdacht, geheime militärische Dokumente nicht nur weitergegeben, sondern davor sogar gefälscht zu haben. Scheinbares Ziel der Leaks und Manipulationen: die israelische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Hamas einen Deal zur Freilassung der Geiseln verhindert habe, und nicht Netanjahu, wie Tausende Regierungskritiker an Anti-Regierungsprotesten jede Woche behaupten. Zuerst veröffentlicht hatte diese Geschichte… Haaretz.
Netanjahu würde am liebsten jegliche Kritik loswerden
Benjamin Netanjahu sind kritische Medien ein Dorn im Auge. So sehr, dass ihn seine angeblichen Versuche, sie mit bevorzugter Behandlung oder gar Bestechung handzahmer zu machen, vor Gericht gebracht haben. Im Krieg muss Netanjahu keine Umschweife mehr machen, um die wenigen kritischen Medien mundtot zu machen: Seine Regierung kann einfach beschliessen, einer Zeitung die Inserate und ihren Journalistinnen und Journalisten die Regierungspresseausweise und alle Kontakte zu Regierungsbehörden zu entziehen.
Am liebsten würden Netanjahu und seine Koalitionspartner jegliche Kritik loswerden – und am besten sogar Israels Oberstaatsanwältin, welche Bestechungs- und Korruptionsvorwürfe gegen den Premier untersucht. Diese hält sich aber vorläufig noch tapfer im Amt. Und im Fall der angegriffenen Medien: In Israel haben selbst namhafte Journalisten, welche mit Haaretz meist gar nicht einverstanden sind, Partei für die Zeitung ergriffen. Beides macht Hoffnung, dass Netanjahu selbst im Krieg noch nicht ganz als «King Bibi» regieren kann.