Die Haftbefehle: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat einen Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu erlassen. Weitere Haftbefehle wurden gegen Netanjahus ehemaligen Verteidigungsminister Joav Gallant und Ibrahim Al-Masri, ein ranghohes Mitglied der islamistischen Hamas, ausgesprochen.
Das Gericht folgt mit seinem Entscheid einem Antrag des Chefanklägers. Dieser hatte bereits im Mai die Haftbefehle gegen Netanjahu und seinen Verteidigungsminister beantragt. Ihnen werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wegen der Kriegführung im Gazastreifen zur Last gelegt. Der Haftbefehl gegen Al-Masri wurde aufgrund des Hamas-Terrorangriffs vom 7. Oktober 2023 auf Israel erlassen.
Die Begründung: Einer Meinung sind sich die Richterinnen und Richter in Den Haag bei weitem nicht immer. Beim Krieg zwischen Israel und der Hamas beurteilten sie das Beweismaterial, das ihnen Chefankläger Karim Khan vorgelegt hatte, offensichtlich gleich: dass die Kriegsparteien mutmasslich unmenschlich und grausam vorgingen.
Auf das Leid der Kinder im Gazastreifen hätten die Richterinnen und Richter ein besonderes Augenmerk gerichtet, sagt der Journalist Thomas Verfuss, der seit Jahren über den Internationalen Strafgerichtshof berichtet: «Sie bemerken, dass Kinder durch Hunger, Unterernährung und Wassermangel gestorben sind.»
Ohne militärische Notwendigkeit habe die israelische Regierung Hilfslieferungen verweigert, trotz wiederholter Appelle der UNO und internationaler Hilfswerke, dafür zu sorgen, dass die Güter in den Gazastreifen gelangten.
Die Folgen: Das Gericht hat selbst keine Polizeimacht, um Haftbefehle zu vollstrecken. Doch nun sind alle 124 Mitgliedsstaaten verpflichtet, sie auszuführen. Das heisst: Sobald sich ein Gesuchter auf ihrem Hoheitsgebiet befindet, muss er festgenommen und dem Gericht überstellt werden. Durch die Haftbefehle sind also die Reisemöglichkeiten der Gesuchten erheblich eingeschränkt.
Die Reaktionen: Israels Präsident Isaak Herzog hat mit Empörung und scharfer Kritik auf den Erlass internationaler Haftbefehle gegen Premier Netanjahu und Verteidigungsminister Galant reagiert. «Dies ist ein dunkler Tag für die Justiz. Ein dunkler Tag für die Menschheit», schrieb er auf X. Netanjahu selbst bezeichnete den Entscheid als von «antisemitischem Hass auf Israel getrieben».
Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs sei ein «wichtiger historischer Präzedenzfall und eine Korrektur eines langen Wegs historischer Ungerechtigkeit gegen unser Volk», teilte die Hamas mit. Zum ebenfalls erlassenen Haftbefehl gegen ihren militärischen Anführer der Terrororganisation, Al-Masri, äusserte sich die Hamas nicht.
Das Dilemma: International fallen die Reaktionen unterschiedlich aus. Von sehr negativ in den USA bis sehr positiv in Jordanien. Israels europäische Verbündete stehen nun vor einem Dilemma: Netanjahu festnehmen oder nicht? Deutschland zum Beispiel ist einer der Hauptunterstützer des Gerichts, zugleich aber auch enger Verbündeter der USA und Israels. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell rief die EU-Staaten dazu auf, den Haftbefehl gegen Netanjahu zu vollstrecken. Die Entscheidung des IStGH sei rechtsverbindlich.