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Humanitäre Lage Warum blockieren die USA Bericht über Hungersnot in Nordgaza?

Eine amerikanische Organisation, die Hungersnöte weltweit beobachtet, hat diese Woche einen Bericht zu Nordgaza zurückgezogen. Darin warnte die Organisation, dass den Menschen dort unmittelbar eine Hungersnot drohe. Ein Überblick zum zurückgezogenen Bericht.

Susanne Brunner

Leiterin Auslandredaktion

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Susanne Brunner war für SRF zwischen 2018 und 2022 als Korrespondentin im Nahen Osten tätig. Sie wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und in der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei SRF 3. Dann ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und war nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Sie moderierte auch das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Seit September 2022 ist sie Leiterin der Auslandredaktion von Radio SRF.

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Was steht in dem nun zurückgezogenen Bericht?

Nordgaza drohe eine akute Hungersnot, wenn nicht sehr bald sehr viel mehr Nahrungsmittel die Menschen dort erreichen würden. Die Organisation «Fews Net» – kurz für «Famine Early Warning Systems Network» – wurde 1985 in den USA als globales Frühwarnsystem für globale Hungerkatastrophen gegründet. Für die Städte Jabaliya, Beit Hanoun und Beit Lahia in Nordgaza hat «Fews Net» in seinem neuesten Bericht Alarm geschlagen: Bald würden dort täglich zwischen zwei und fünfzehn Menschen an Hunger sterben. Schuld an dieser Entwicklung sei die fast vollständige Blockade von Nordgaza durch Israel seit Anfang Oktober.

Der Krieg in Nordgaza

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Auslöser des Gazakrieges war der Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem 1200 Menschen getötet und 254 entführt wurden. Seither führt Israel im Gazastreifen gegen die radikal-islamistische Terrororganisation Krieg.

Der Norden des Gazastreifens war zu Beginn des Krieges ein Hauptziel Israels: Hunderttausende von Menschen flüchteten in den Süden. Israel erklärte einige Monate nach Kriegsbeginn, die Hamas sei in Nordgaza besiegt. Seit Anfang Oktober 2024 fokussiert sich Israels Armee jedoch wieder auf Nordgaza, weil die Hamas laut israelischen Angaben dorthin zurückgekehrt sei. Unter anderem die UNO und die USA haben Israel seither dringlich aufgefordert, trotz seiner Blockade mehr Hilfsgüter durchzulassen. Umstritten ist, wie viele Menschen sich überhaupt noch in Nordgaza befinden.

Warum wurde der Bericht zurückgezogen?

Der US-Botschafter zu Israel, Jacob Lew, kritisierte den Bericht öffentlich. Ebenso die amerikanische Organisation für Entwicklungs­zusammenarbeit USAID, welche vom US-Aussenministerium finanziert wird. Diese sagte, der Bericht der international anerkannten Organisation Fews Net basiere auf bereits veralteten Daten und werde der sich rasch verändernden Situation in Nordgaza nicht gerecht. Einige Hilfswerke äusserten sich besorgt über die Rücknahme der Hungersnot-Warnung.

Mann und Kind sitzen auf altem Kühlschrank im Freien.
Legende: Die humanitäre Lage im ganzen Gazastreifen ist dramatisch. Ein genaues Bild gibt es aber nicht, weil der Zugang zum Gebiet beschränkt ist. IMAGO/Majdi Fathi

Ist dieser Bericht nun legitim oder nicht?

Gleich eingangs zum Bericht schreibt die Organisation selbst, dass sie, im Gegensatz zu anderen Weltgegenden, niemanden vor Ort im Gazastreifen hat. Hilfswerke, welche in anderen Teilen des Gazastreifens arbeiten, haben schon wenige Wochen nach Beginn des Gazakrieges vor einer Hungersnot gewarnt. Die UNO hat am 24. Dezember geschrieben: Israel habe im Dezember 48 von 52 Versuchen der UNO unterbunden, humanitäre Hilfe zu koordinieren. Israel hingegen sagt, es stauten sich Lastwagen vor Nordgaza, und die UNO und andere Hilfswerke seien unfähig, diese Hilfsgüter zu verteilen. Was völlig unklar ist: Wie viele Menschen sich noch in Nordgaza befinden. Sind es 95'000, wie die UNO schreibt, oder weniger? Das lässt sich nicht unabhängig verifizieren.

Warum weiss man nicht genau, wie es in Nordgaza aussieht?

Einerseits, weil Israel keine Journalistinnen und Journalisten aus dem Gazastreifen berichten lässt. Im Oktober hat Israel zudem behauptet, sechs Al-Jazeera-Reporter, die noch aus Nordgaza berichteten, seien bei der Hamas und dem Islamischen Jihad, also gar keine Journalisten. Al Jazeera – der arabische Nachrichtensender, der von Katar finanziert wird – ist in Israel verboten. Von Satellitenaufnahmen ist die massive Zerstörung in Nordgaza allerdings ersichtlich, aber diese sagen noch nichts darüber aus, wie viele Zivilpersonen sich noch dort befinden.

Was macht Fews Net mit dem zurückgezogenen Bericht?

Die Organisation will den Bericht nun überarbeiten und im Januar neu herausgeben.

SRF 4 News, 27.12.2024, 7:53 Uhr ; 

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