Der Konflikt zwischen Israel und der Schiiten-Miliz Hisbollah in Libanon wirkt sich auch auf das Nachbarland Syrien aus. Israel greift regelmässig Milizionäre der Hisbollah in Syrien an, schon warnt der dortige UNO-Sonderbeauftragte vor einem Übergreifen des Konflikts. Zudem sind laut UNO mehr als 270'000 Menschen aus Libanon nach Syrien geflüchtet. Die Nahost-Spezialistin Bente Scheller verfolgt die Lage.
SRF News: In Syrien herrschen seit 13 Jahren kriegsähnliche Zustände, jetzt flüchten Menschen aus Libanon ins Nachbarland. Wie werden sie dort aufgenommen?
Bente Scheller: Die Situation ist sehr schwierig. Schon zuvor hatten 90 Prozent der syrischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze gelebt, Syrien kann die neue Situation kaum stemmen. Die Versorgung der Geflüchteten ist eine grosse Herausforderung – nicht zuletzt, weil die Haupt-Verbindungsstrasse zwischen Libanon und Syrien von Israel bombardiert worden ist. Das schränkt auch den Warentransport ein – und das in einem Moment, in dem alles Mögliche gebraucht würde.
Laut der Nahost-Verantwortlichen beim norwegischen Flüchtlingsrat entsteht in Syrien nach Gaza und Libanon gerade die dritte humanitäre Krise innert zwölf Monaten. Sehen Sie das auch so?
Die Lage in Syrien war schon vorher dramatisch, mit den Flüchtlingen aus Libanon spitzt sich die Lage weiter zu. Deshalb ist es sehr gut möglich, dass sich hier eine humanitäre Krise anbahnt.
Im Windschatten des Krieges in Libanon versuchen Gruppierungen in Syrien verstärkt, ihre Interessen durchzusetzen.
Hinzu kommt, dass verschiedene Gruppierungen im Windschatten des Krieges in Libanon jetzt in Syrien verstärkt versuchen, ihre Interessen durchzusetzen: Es gibt russische und türkische Bombardements, der IS ist stärker geworden. Und im Süden Syriens versuchen die Israelis auf dem Golan Fakten zu schaffen.
Wie gross ist die Gefahr, dass der Nahost-Konflikt auch auf Syrien übergreift?
Die Bombardements der Israelis waren in der Vergangenheit stets sehr zielgerichtet auf die Hisbollah, um deren weitere Bewaffnung zu stoppen. Doch inzwischen sind die Angriffe viel weniger zielgenau, es werden auch syrische Zivilisten getroffen.
Syrien wird weiter destabilisiert.
Das dürfte für weitere Vertreibungen und Angst unter den geschundenen Menschen in Syrien sorgen. Auch wird Syrien weiter destabilisiert, nachdem es schon in den letzten Jahren keinerlei Verbesserungen für die Menschen gegeben hatte. Die humanitäre Versorgung nahm ab, Wirtschaft und Infrastruktur liegen am Boden.
Syriens Diktator Baschar al-Assad verhält sich angesichts der Bombardierungen durch Israel auffallend ruhig. Stimmt dieser Eindruck?
Auf jeden Fall. Einerseits hält sich Assad wohl in Deckung, um nicht selber ins Visier der Israelis zu geraten. Andererseits erwägt er womöglich auch, ob die Situation eine Chance bietet, sich mit dem Westen wieder besser zu stellen.
Der UNO-Beauftragte warnt auch vor der Gefahr für die internationale Stabilität. Sehen sie das auch so?
Das ist durchaus ein wichtiger Punkt – und dazu sollte man auch in die kurdischen Gebiete schauen und in jene in Syrien, wo nach wie vor US-Truppen stationiert sind. Beides sind stabilisierende Faktoren. In den USA diskutieren die Regierungen allerdings seit Jahren, ihre Truppen abzuziehen. Sicher ist: Die humanitäre Hilfe in Syrien muss weiterhin durch westliche Staaten gewährleistet werden. Diese Hilfe ist in den letzten Jahren wegen anderer Konflikte auf der Welt unter Druck geraten – aber eigentlich können wir es uns nicht leisten, mit der Hilfe für die Menschen in Syrien nachzulassen.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.