In der Sorge um eine weitere Eskalation im Nahen Osten haben viele Menschen in aller Eile ihre Häuser in Libanon verlassen und sind geflüchtet – vor den Raketen aus Israel, vor der Gewalt im Süden des Landes. Und weil sie sich Sorgen machen, dass sich der Konflikt ausweitet.
Bereits über 100'000 Menschen haben laut der UNO Zuflucht im Nachbarland Syrien gesucht, das vom langjährigen Bürgerkrieg gezeichnet ist. Dabei sind die meisten von ihnen Syrerinnen und Syrer, die vor Jahren noch in die andere Richtung geflüchtet waren. Seit zehn Tagen nun scheint Syrien der sicherere Ort zu sein.
UNO rechnet mit 300'000 Flüchtenden
Viele hätten Hals über Kopf alles zurückgelassen, beschreibt Emmanuel Tronc die Situation vor Ort. Er leitet für Heks, das Hilfswerk der evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, die Projekte in Syrien. Sein Büro steht in der Hauptstadt Damaskus, die gut zwei Autostunden von der libanesischen Hauptstadt Beirut entfernt liegt.
Aktuell beobachtet er einen massiven Zustrom von Menschen aus Libanon. Die meisten kämen in Damaskus oder in der Stadt Homs weiter nördlich in Syrien an. Und das sei wohl erst der Anfang. Die UNO gehe davon aus, dass es bald 300'000 sein werden, die in Syrien Schutz suchen.
«Sie sind in das sicherste Gebiet geflohen, das sie finden konnten», sagt Tronc. Doch Syrien ist keineswegs sicher, das Land befindet sich noch immer im Bürgerkrieg. Ausserdem greift Israel laut übereinstimmenden Medienberichten auch Ziele in Damaskus und in den umliegenden Vororten an. In den letzten Tagen sei dies mehrfach passiert, sagt Tronc.
Viele leben in Syrien von humanitärer Hilfe
Syrien befindet sich zudem seit Jahren in einer humanitären Krise. Über 90 Prozent der Menschen im Land lebten unter der Armutsgrenze und seien somit selber auf humanitäre Hilfe angewiesen, sagt Tronc. Die Regierung habe dabei nicht einmal genug Ressourcen, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Und nun kommen Zehntausende aus Libanon, die ebenfalls Hilfe brauchen.
Was macht das mit den Menschen, wenn sie in Syrien auf diese Bedingungen treffen? «Die grösste Sorge ist effektiv die psychische Belastung und die Perspektivlosigkeit», sagt der Heks-Projektleiter. Die Menschen wüssten nicht, was als Nächstes auf sie zukomme. Sie wüssten nicht, wann sie nach Libanon zurückkehren können, denn in Syrien bleiben wolle niemand.
Grosse Solidarität in Syrien
Trotz der schwierigen Umstände sei die Solidarität mit den Geflüchteten in Syrien gross, so Tronc. Viele seien sofort zu Hilfe geeilt und würden versuchen, die Menschen bei sich aufzunehmen. Freunde, Bekannte, Verwandte der Syrerinnen und Syrer.
Aber auch gegenüber den libanesischen Geflüchteten sei die Solidarität gross, auch seitens der Behörden. Wir müssen bereit sein, unsere libanesischen Brüder zu empfangen: So habe von Beginn weg die Botschaft der syrischen Behörden gelautet, sagt Tronc.
Für das Hilfswerk Heks gehe es in dieser akuten Phase vor allem darum, gemeinsam mit anderen Organisationen die Hilfe zu koordinieren. Trotz der unübersichtlichen Situation solle niemand vergessen gehen.
Daneben unterhält Emmanuel Tronc mit seinem Team Unterkünfte für geflüchtete Familien. Sein Ziel ist es, den Überblick zu behalten, dafür zu sorgen, dass die Menschen sauberes Wasser haben, Nahrung und ein Dach über dem Kopf.