Wenn der Chef der mächtigsten Militärallianz der Welt eine Grundsatzrede mit dem Ersten Weltkrieg beginnt, mit der blutigen Schlacht an der Somme, dann signalisiert er Besorgtheit.
Über eine Million Männer starben damals, ruft Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel in Erinnerung. Obschon man in Europa noch zwei Jahre zuvor glaubte, es werde nicht zum Krieg kommen.
Stoltenberg hält die Lage in Europa jetzt, 100 Jahre später, wieder für instabil, für instabiler als seit Jahrzehnten. Es ist daher verständlich, dass für das Nordatlantische Bündnis zwei hausgemachte Probleme höchst ungelegen kommen.
- Das erste Problem
Die USA haben einen neuen Präsidenten gewählt. Donald Trump hat sich zwar einmal als «Fan der Nato» bezeichnet. Doch zugleich stellt er die Bündnistreue, das Nato-Prinzip «einer für alle, alle für einen» in Frage. Und er bewundert Russlands Präsidenten Wladimir Putin, den wiederum die Nato als ihr grösstes Problem sieht.
Stoltenberg wirbt nun fast flehentlich um das Wohlwollen des künftigen Herrn im Weissen Haus: Niemals hätten die USA einen treueren Freund gehabt als Europa. Und er verspricht Trump, dass es seine Priorität als Nato-Chef sei, die Europäer zu höheren Rüstungsausgaben zu bewegen, so dass sich Washington von einem Teil der militärischen und finanziellen Last befreien könne.
- Das zweite Problem
Ausgerechnet jetzt belebt die EU-Kommission, unterstützt von Frankreich und Deutschland, die alte Idee einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft neu – eine Idee, die der Nato-Chef als «Geist aus der Vergangenheit» bezeichnet.
Am Nato-Sitz in Brüssel fürchtet man eine Verzettelung der Kräfte, wenn Schritte in Richtung EU-Armee und Aufbau eines militärischen EU-Hauptquartiers unternommen würden. Das könne man sich in der Nato und der EU angesichts begrenzter Mittel schlicht nicht erlauben. Komplementarität, statt Rivalität sei anzustreben, so Stoltenberg.
Wer stärkt Osteuropa noch den Rücken?
Offenkundig herrschen Zweifel daran, ob man das bei der EU ebenso sieht. Deshalb betonte Stoltenberg, die Nato sei der Anker der Stabilität, etwa bei der Rückenstärkung für die Osteuropäer gegenüber Russland.
Wer übernehme dort künftig die Verantwortung? Drei Nato-Länder – Kanada, die USA und Grossbritannien – die nicht oder bald nicht mehr der EU angehören. Und daneben nur gerade Deutschland, erklärte Stoltenberg. Sein Auftritt macht deutlich: Auf die westliche Militärallianz kommen äusserst schwierige Zeiten zu.