Schon bald soll die Regierung künftig nicht mehr in Jakarta, sondern im Dschungel auf Borneo arbeiten. Die neue indonesische Hauptstadt Nusantara ist im Bau.
«Plaza Legislatif» und «Office President» steht auf den Wegweisern am Strassenrand. Sie zeigen auf Stahlgerüste, die bald Regierungsgebäude sein sollen. Brennt die Sonne, wirbeln die Lastwagen rostroten Staub auf. Schüttet der Monsun, verspritzen sie matschige Erde. Die Baustelle von Nusantara liegt in den Tropen, unweit des Äquators.
In der Mitte von allem thront ein kolossales Gebäude in der Form einer Garuda, eines mythischen Vogels, der das nationale Symbol für die Einheit Indonesiens ist. Es ist der Präsidentenpalast. Das monumentale Projekt ist eine Vision des Präsidenten Joko Widodo. Am 17. August, dem Tag der indonesischen Unabhängigkeit, will er ihn einweihen.
Im roten Overall marschiert Erwin Syah über die Baustelle. Er ist zuständig für die Sicherheit rund um den Zeremonienplatz. «Inschallah, wir werden bereit sein, die Herausforderung ist, alles für den Präsidenten schön vorzubereiten», sagt er.
Fliegende Taxis
Mit Nusantara will Präsident Joko Widodo, auch Jokowi genannt, die politische und ökonomische Struktur Indonesiens nachhaltig ändern. Die neue Hauptstadt soll Jakarta, die jetzige, entlasten und einen zweiten ökonomischen und politischen Pol schaffen, der nicht auf der dicht bevölkerten Insel Java liegt. Kurz: Mehr Macht weg vom Zentrum in die Peripherie. Die dafür veranschlagte Fläche ist knapp so gross wie der Kanton Tessin.
Ein kleiner Showroom präsentiert Nusantara im Jahr 2045: Eine Stadt im Wald, wieder aufgeforstet, mit fliegenden Taxis, alles organisiert und geregelt durch Computer mit KI. Zum Plan gehören Ministerien, Universitäten, Hotels und vieles mehr.
Davon steht noch wenig. Agung Wicaksono führt im Eilschritt Investoren von Baustelle zu Baustelle. «Die Stadt wird im Zentrum wie Washington DC, ausserhalb wie Dubai», sagt er. Nusantara wird mindestens 30 Milliarden Schweizer Franken kosten. Davon will die Regierung nur ein Fünftel selbst bezahlen. Bis jetzt ist das Interesse von privaten Investoren gering.
Agung ist trotzdem optimistisch: «Jokowi kann diese Vision über Generationen hinweg umsetzen und im Jahr 2045 wird diese Stadt belebt und von allen geliebt sein.» Doch Jokowi muss nach zehn Jahren im Amt bald abtreten. Am 14. Februar wählt Indonesien einen neuen Präsidenten. Im Wahlkampf werden nun Stimmen laut, die den Sinn des monumentalen Projekts infrage stellen.
«Geld umverteilen»
Einer der schärfsten Kritiker ist Soziologie-Professor Sulfakir Amir. Er ist im Wahlkampfteam des Gegenkandidaten Anies Baswedan. Sulfakir glaubt, dass Präsident Jokowi sich mit der Stadt sein eigenes Vermächtnis baue. «Nusantara ist gar keine richtige Stadt, sondern ein Themenpark», sagt er. Im Gespräch mit dem Soziologie-Professor fallen Wörter wie «wahnsinnig» und «dumm». Sollte sein Kandidat gewinnen, werde er den Bau stoppen. «Wir wollen das Geld umverteilen und in 40 andere Städte Indonesiens investieren», sagt er.
Die Arbeiter in Nusantara bauen die ganze Nacht durch. Die Baukräne leuchten rot-weiss, in den Farben der indonesischen Flagge. Die Zeit ist knapp. Die Flügel des Garuda, der über dem Palast thront, werden am Tag der Einweihung mit Sicherheit noch nicht fertig sein.