100 Tage Schonfrist wird einer neuen Regierung normalerweise gewährt – so will es die politische Tradition. Doch in diesen Zeiten ist nichts normal. Deutschland befindet sich mitten in der vierten Coronawelle, mitten in einer akuten Krise. Und die Ampelkoalition damit mitten in ihrer ersten Bewährungsprobe.
Dutzende Millionen von Impfungen müssen organisiert und durchgezogen, Wirtschaftshilfen verteilt und weitere Corona-Massnahmen umgesetzt werden. Selbst einen erneuten Lockdown schliesst der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht aus.
Ampel blickt auf holprigen Start zurück
Den Start hatte die Ampel vor einigen Wochen bereits verstolpert. Nämlich mit ihrer Einschätzung, die epidemische Notlage sei beendet. Immerhin wurde jetzt bei den Impfungen der Turbogang eingelegt – und mit einer 2G-Regel praktisch im ganzen Land gilt bereits, worüber in der Schweiz erst diskutiert wird. Die Ampel stellte Weichen, noch bevor sie im Amt war.
Bei ihrem allerersten Wurf, dem Infektionsschutzgesetz, muss jedoch zum wiederholten Mal nachgebessert werden, begleitet von lautstarker Kritik der CDU/CSU. Die Union wird sich in ihrer neuen Oppositionsrolle nicht zurückhalten – als ob die Herausforderungen für Scholz und sein Team nicht schon gross genug wären.
Bundeskanzler macht grosse Versprechen
Seine Regierung werde Deutschland umbauen, wie es das Land seit der Industrialisierung nicht mehr erlebt habe, kündigte Scholz an. Eine nie dagewesene sozial-ökologisch liberale Transformation stehe bevor. Die deutsche Wirtschaft soll komplett klimaneutral, der Kohleausstieg dazu vorgezogen und der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigt werden.
Scholz verspricht zudem Milliarden für Infrastruktur und Rente, einen höheren Mindestlohn und weniger Bürokratie. Und all das solle schnell geschehen. Bisher liegt der SPD-Kanzler im Zeitplan: Die erste Regierungsbildung überhaupt zwischen drei Parteien lief geräuschlos und dauerte verhältnismässig kurz.
Auf Scholz wartet selbst in der eigenen Fraktion kein Heimspiel
Doch die gemeinsame Absichtserklärung, der Koalitionsvertrag, lässt vieles offen. Vor allem die Finanzierung der ambitionierten Ampelpläne scheint nicht geklärt zu sein. Darüber hinaus wird Scholz viel Geschick brauchen, die drei unterschiedlichen Partnerinnen SPD, Grüne und Liberale zusammenzuhalten.
Selbst in der eigenen Fraktion wird es für ihn kein Heimspiel werden: 104 neue SPD-Abgeordnete sitzen im Parlament, darunter viele von der Juso. Ihren äusserst populären ehemaligen Anführer Kevin Kühnert, den Advocatus Diaboli der Partei, hat Scholz schon einmal vorsorglich als Generalsekretär eingebunden.
395 Abgeordnete haben Olaf Scholz nun zum Kanzler gewählt. Damit erhält er gut 20 Stimmen weniger, als die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP auf sich vereinen. Ein Glanzresultat sieht anders aus. Doch gewählt ist gewählt – nun muss Scholz liefern. Viel Zeit bleibt ihm nicht.