Vorsichtig stellt der alte Herr die Teetassen vor uns ab. Davoud Hermidas-Bavand ist über 80 Jahre alt. Er war Karriere-Diplomat, Politikwissenschaftler sowie führender Kopf in der National Front des Iran, der ältesten pro-demokratischen Oppositionsbewegung des Landes. Hermidas-Bavand stammt aus einer jahrhundertealten angesehenen Familie. Eine Herkunft, die Hermidas-Bavand mit seiner gesamten Haltung, mit jeder Bewegung und jedem Blick auszudrücken versteht. Und noch viel mehr: mit jedem Wort!
Natürlich wird etwas geschehen im Iran. Daran habe ich keine Zweifel.
Denn als Hermidas-Bavand zu sprechen beginnt, zerschneiden seine Worte geradezu den Raum. «Natürlich wird etwas geschehen im Iran. Daran habe ich keine Zweifel.»
Sanktionen auf den Energiesektor
Bislang haben die Sanktionen zwar «erst» den Dollar-Kauf, den Goldhandel, die Lieferung von Software oder den Automobilsektor getroffen (der Automobilsektor ist einer der grössten Arbeitgeber im Iran). Doch schon diese Sanktionen haben massive Auswirkungen auf das tägliche Leben.
Wenn nun ab kommendem Montag auch noch der Energiesektor betroffen ist (Erdöl, Erdgas und Petrochemie), sowie Häfen, Schifffahrt, Schiffbau, Banken und Versicherungen, dann wird dies die iranische Wirtschaft nochmals um ein Vielfaches mehr schwächen, als die erste Runde der Sanktionen, die seit dem 6. August in Kraft sind.
Eine führungslose Bewegung?
«Bis zu einem gewissen Punkt können die Menschen wirtschaftliche Schwierigkeiten hinnehmen. Aber wenn diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten eine gewisse Grenze überschreiten, werden die Leute reagieren.» Was diese Reaktion angeht, ist Hermidas-Bavand keineswegs optimistisch: «Die erste Möglichkeit ist, dass es zu einer führungslosen Bewegung kommt, die einfach losrollt, die aber keine neue Ordnung etablieren kann.»
Die zweite Möglichkeit sei ein Staatsstreich durch die Revolutionsgarde. Denn diese kontrolliert die wirtschaftlichen und finanziellen Bereiche im Iran. «Wenn die Revolutionsgarde zum Schluss kommt, dass ihre eigenen Interessen gefährdet sind, könnte es sein, dass sie sich mit den Menschen auf der Strasse zusammentut. Einerseits um ihre eigenen Interessen zu retten, andererseits um als Helden dazustehen, die den Menschen geholfen haben.» Dass dies funktionieren kann, hat die Welt in Ägypten gesehen.
Dass die Iraner die wirtschaftliche Not einfach hinnehmen, weil sie von aussen bewirkt wurde, und dem Regime zwar widerwillig, aber doch ohne grösseren Widerstand folgen, daran glaubt Hermidas-Bavand nicht. «Das ist zwar eine Möglichkeit, aber ich sehe keine Anzeichen dafür.»
«Die Armen leiden unter den Sanktionen»
Die Stimmung in Teheran ist spürbar angespannt. Als wir auf dem Schwarzmarkt der Geldhändler auftauchen, werden wir sofort umringt. «Ich war 14 Jahre alt, als die Revolution kam. Grosse Führer wie Ajatollah Khomeini und andere haben uns damals geleitet. Aber heute fehlen die Früchte dieser Anstrengung.» Mehr als seinen Vornamen will uns der Geldwechsler nicht verraten. Zu gross ist die Angst vor den mithörenden Ohren. Doch dann schimpft er weiter: «Als einfacher Bürger denke ich: die Leute mit Beziehungen da oben, die müssten jetzt Antworten haben. Denn es sind die Armen, die unter den Sanktionen leiden. Diejenigen, die sich dank Beziehungen ein Leben im Luxus leisten können, sollten sich das merken.» Es ist eine kaum verhohlene Drohung.
In der Tat haben die im August verhängten Sanktionen eine wirtschaftliche Abwärtsspirale in Gang gesetzt, in deren Zuge sich der Dollarpreis verdreifacht hat. Die Inflation steigt täglich, es gibt immer weniger Arbeit, und einfache Güter wie Baby-Milchpulver oder Baby-Windeln sind nur noch schwer zu finden.
Die Iraner sind momentan sehr unzufrieden.
Im Goldmarkt versucht ein älterer Herr, eine Goldkette zu verkaufen. «Ich habe sie erst vor kurzem für meine Frau gekauft. Jetzt muss ich sie wieder verkaufen. Wegen der Geldentwertung habe ich Geldprobleme, ich brauche Geld.» Doch der angebotene Preis ist ihm zu tief: «Ich habe vor einer Woche mehr dafür bezahlt, als mir jetzt angeboten wurde.» Es ist diese Stimmung, die Hermidas-Bavand meint, wenn er sagt: «Die Iraner sind momentan sehr unzufrieden. Und sie wissen, dass etwas geschehen wird. Aber sie wissen nicht, was, und sie wissen nicht, wie es ausgehen wird.»