Der ukrainische Präsident erhält weitere Unterstützung im Abwehrkampf gegen Russland. Die USA stellen ihm zusätzliche Waffen und Ausrüstung im Wert von 325 Millionen Dollar zur Verfügung. Das ist das Ergebnis von Selenskis Besuch in Washington. Wolfgang Richter erklärt, was das bedeutet.
SRF: Was hat Selenski mit seinem Besuch in den USA erreicht?
Wolfgang Richter: Selenski bekommt weitere gepanzerte Kampffahrzeuge, insbesondere Minenräumgerät und auch Luftverteidigungssysteme, sowie weitere Munition. Was er allerdings nicht bekommt, das sind Langstreckensysteme. In diesem Punkt konnte sich Selenski nicht durchsetzen.
Biden und auch Scholz wollen verhindern, dass mit westlichen Systemen sensitive Ziele auf russischem Boden angegriffen werden.
Sowohl US-Präsident Biden als auch der deutsche Bundeskanzler Scholz wollen derzeit verhindern, dass mit solchen westlichen Systemen mit bis zu 300 Kilometern Reichweite sensitive Ziele auf russischem Boden angegriffen werden. Hinzu kommt, dass im Bereich der Raketentechnologie 35 Staaten vereinbart haben, solche Waffensysteme nicht zu liefern, zumindest dort nicht, wo die Gefahr der Weiterverbreitung besteht, und eben auch nicht in Konfliktgebiete.
Wie lange dauert es, bis die Ukraine weiteren Nachschub benötigt?
Je mehr der Westen an Waffensystemen liefert, umso mehr wird die Ukraine auch von der dauerhaften Lieferung westlicher Munition abhängig sein, insbesondere von Ersatzteilen. Da es immer nur relativ kleine Mengen sind, müssen die dann über lange Versorgungsstrecken von der Westgrenze bis an die Front im Osten und Süden herangebracht werden. Für Logistiker ist das zweifellos ein Albtraum.
Wir befinden uns in einem Abnützungskrieg.
Das heisst, wir befinden uns in einem Abnützungskrieg. Es wird auf Dauer derjenige den Vorteil haben, der über grössere Reserven und Ressourcen verfügt. Und da kann man natürlich spekulieren, ob der Westen in der Lage ist, über viele Jahre hinweg so etwas durchzuhalten. Auf lange Sicht wird es noch wichtiger sein, auf die Personalressourcen zu schauen. Und da befindet sich die Ukraine nicht im Vorteil. Russland hat allein demografisch eine viermal höhere Personalreserve.
Wie kommt die Gegenoffensive der Ukraine denn überhaupt voran?
Meine Bewertung ist, dass diese Erfolge, die erzielt worden sind, sich in Hunderten von Metern oder manchmal auch fünf Kilometern Tiefe messen lassen. Das ist alles taktisches Geplänkel. Also ein operativer Sieg ist es nicht, wenn man ein Dorf von 500 Einwohnern im Frieden erobert und dabei fünf Kilometer in die Tiefe stösst. Man stellt fest, dass es taktisch hier und da lokal zwar einen Erfolg gegeben hat, aber operativ hat sich die Front im Wesentlichen eigentlich nicht bewegt. Und wir müssen sogar noch feststellen, dass sie sich seit zehn Monaten nicht mehr wirklich bewegt. Wenn der Winter kommt, wird sich alles weiter verlangsamen.
Muss die Ukraine im Winter ihre Verteidigung neu ausrichten – den Schutz von Heizkraftwerken verstärken beispielsweise?
Das ist keine Neuausrichtung, sondern das ist eine ständige Aufgabe der Luft- und Raketenabwehr. Der Westen hat erheblich dazu beigetragen, die ukrainische Luft- und Raketenabwehr zu verstärken. Natürlich kann man davon nie genug haben. Man wird diese Systeme immer nur punktuell einsetzen können und nicht flächendeckend. Das heisst, es gibt immer Räume, die offen sind. Und man kann auch solche guten Systeme sättigen: Wenn man Hunderte von Drohnen schickt, dann werden selbst bei einer Abschussrate von 70 bis 80 Prozent einige Drohnen ihr Ziel treffen.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.