Eines weiss man ganz gewiss: Alexander Schallenberg kennt die Schweiz bestens. 1969 wurde er in Bern geboren, seine Mutter war Schweizerin, und so spricht der 52-Jährige mit viel Sympathie von seinem Geburtsland. Zum Beispiel als er vor zwei Jahren, noch als österreichischer Aussenminister, Lugano besuchte.
Schallenberg nennt Bundesrat Cassis beim Vornamen, hat Schweizer Kindheitserinnerungen: endlich ein EU-Spitzenpolitiker, der helvetische Befindlichkeiten und ihre Eigenart versteht.
Einmal aber sorgte er in seiner kurzen Zeit als Aussenminister für eine Kontroverse. Weil er sich nämlich in einem ORF-Interview zum Thema Flüchtlinge und Migranten in irritierender Weise äusserte: «Wenn ein Schiff an Europas Küste auftaucht oder es einen Zwischenfall in einem Lager oder eine andere Notlage gibt, gibt es sofort das Geschrei um Verteilung. Das kann nicht die Lösung sein.»
Mit «Geschrei» meinte Schallenberg die Debatte um die Verteilung von Flüchtlingen und Migranten unter den EU-Mitgliedsländern. Eine Formulierung, an der sich kirchliche Kreise, ein Teil der linken und liberalen Opposition und Hilfsorganisationen störten. Denn in dieser Frage gehe es auch um Kinder, um Menschen, die Hunger oder Krieg entronnen seien. In diesem Zusammenhang sei das Wort «Geschrei» unpassend, gar zynisch.
Schliesslich entschuldigte sich Schallenberg – hatte mit seiner Aussage aber trotzdem klargemacht, dass er in der Migrationspolitik zu den Hardlinern gehört, wie sein Förderer und Mentor Sebastian Kurz.
Nur eine Figur des Übergangs?
Schallenberg ist Teil der von Kurz geschaffenen, neuen, der türkisfarbenen ÖVP. Und setzt sich somit klar ab von der alten, der christlich-sozialen, der sogenannt schwarzen Partei. Kein Wunder: Machte Schallenberg doch die ganzen grossen Karriereschritte unter Kurz und ist ihm zu Dank verpflichtet. Im Gegensatz zu anderen Gefolgsleuten von Kurz scheint Schallenberg aber nicht in die Korruptionsaffäre verwickelt zu sein.
Wird Kurz, sollten die Korruptionsvorwürfe dereinst entkräftet sein, ins Kanzleramt zurückkehren? Diese Frage hat man Schallenberg oft gestellt. Doch er weicht ihr aus: «Das sind hypothetische Fragen. Ich bin in einer sehr schwierigen innenpolitischen Situation angelobt worden. Mein Auftrag ist es, Ruhe hereinzubringen, damit wir wieder substanzielle Arbeit liefern. Das ist, was die Menschen von uns wollen.»
So bleibt unklar, ob Schallenberg nur eine Übergangsfigur ist, ein Platzhalter für Sebastian Kurz, oder ob er allenfalls doch für länger im Kanzleramt zu bleiben gedenkt. Noch in einem weiteren Punkt bleibt Schallenberg vage. Nämlich bei der Frage, ob Kurz überhaupt noch über die moralische Integrität verfüge, als ÖVP-Chef in der vordersten Reihe mitzumischen.
Keine Distanzierung von Ex-Kanzler Kurz
Denn in Handy-Chats, die publik wurden, hat Kurz politische Gegner mit groben, ja vulgären Schmähungen eingedeckt: «Man muss die Kirche im Dorf lassen», sagte Schallenberg dazu. «Manche Chats entsprechen nicht der Etikette, die man im menschlichen Umgang pflegen sollte. Und der Klub-Obmann hat sich ja auch dafür entschuldigt.»
Auch hier redet sich Schallenberg ins Ungefähre. Der neue Kanzler ist krampfhaft darum bemüht, sich Spielräume offenzuhalten. Er sei eben ein Pragmatiker, attestieren ihm die einen. Andere vermissen ein klares Profil oder gar einen Kompass. Was wirklich zutrifft, wird man wohl erst dann wissen, wenn Schallenberg im Kanzleramt erste lesbare Spuren hinterlassen hat.