Im Kampf gegen die rasant steigenden Covid-Zahlen sorgt Österreich mit seinen Massnahmen derzeit für Aufsehen: Dort dürfen seit Montag Ungeimpfte nicht mehr in Gaststätten, zum Friseur, ins Kino oder ins Theater. Wie läuft das im Alltag? Der neue Bundeskanzler Alexander Schallenberg über seine Corona-Politik und die Haltung Österreichs zur Schweiz.
SRF News: Seit Montag gilt in Österreich die 2G-Regel. Wie wohl oder unwohl ist Ihnen mit dieser Zweiklassen-Gesellschaft?
Alexander Schallenberg: Natürlich hätten wir es gern anders gehabt. Wäre die Impfrate höher, bräuchten wir diese Regel nicht. Im Land werden steigende Infektionszahlen verzeichnet, die Belastung der Intensivstationen steigt ebenfalls; da kann man nicht tatenlos zuschauen. Die geschützten Menschen, also Geimpfte und Genesene, sollen den Genuss der gesamten Freiheiten haben.
In einer vernünftigen Gesellschaft bräuchte es überhaupt keine Kontrollen.
Den Ungeimpften – wir haben eine Pandemie der Zauderer und Zögerer – muss klar sein, dass der Winter für sie nicht gemütlich sein wird. Jeder von uns hat es selbst in der Hand, sich zu schützen.
Wie soll das Ganze durchgesetzt werden? Polizisten müssten in Gaststätten oder Kinos kontrollieren.
Wir hatten eine ähnliche Situation vor einigen Jahren mit dem Rauchverbot in den Lokalen. Damals standen auch nicht vor jedem Lokal Polizisten zur Kontrolle. Mit stichprobenhaften Kontrollen funktioniert das Ganze gut. Es geht um die Selbstverantwortung: Man schützt nicht nur sich selber, sondern auch seine Freunde und Familie. In einer vernünftigen Gesellschaft bräuchte es überhaupt keine Kontrollen.
Auch für den Wintertourismus in Österreich gilt 2G, in der Schweiz haben wir nicht einmal 3G. Letzten Winter gab es in Österreich durchaus kritische Stimmen, dass die Schweiz dem Land Gäste abjagen könnte. Finden Sie die unterschiedlichen Regeln nicht unfair?
Aktuell ist noch nicht bekannt, mit welchen Regeln die Schweiz durch den Winter gehen wird. Ich gehe nicht davon aus, dass die Schweiz eine Ausnahme sein wird. Österreich geht seinen eigenen Weg, den Weg der Sicherheit. Unsere Landschaften und Skigebiete sind genug schön, um für sich selbst stehen zu können.
Sie sind in Bern geboren, haben fünf Jahre in Bern gelebt. Haben Sie noch Erinnerungen an diese Zeit?
An die Zeit in Bern nicht mehr gross, ich bin später aber immer wieder dort gewesen. An Lugano und Zürich habe ich sehr gute Erinnerungen, weil ich dort jeweils den Sommer bei meinen Grosseltern verbracht habe. Ich habe eine sehr besondere Beziehung zur Schweiz.
Ihr Vorgänger Sebastian Kurz galt als grosser Freund der Schweiz. Werden Sie sich ebenfalls für die Schweiz starkmachen?
Natürlich, das ist auch in unserem eigenen Interesse. Die Schweiz liegt mitten in der Europäischen Union. Auch wenn die Sache mit dem Rahmenabkommen nicht funktioniert hat, müssen wir pragmatische Wege finden, mit der Situation umzugehen. Rache- oder Bestrafungsgelüste sind völlig falsch.
Die Schweiz hat bereits 1993 einen eigenen Weg eingeschlagen. Wir Österreicher haben ein starkes Verständnis dafür.
Wir müssen auf der Ebene von gleichen Wettbewerbsbedingungen vorankommen, beispielsweise in der Forschung. Ich bin froh, dass die zweite Tranche des Kohäsionsbeitrages freigegeben wurde durch den Bundesrat.
Die Schweiz wird oft als «Rosinen-Pickerin» bezeichnet. Sehen Sie das auch so?
Dafür gibt es den Kohäsionsbeitrag. Es stimmt, dass der Beitrag weit niedriger ist im Vergleich zum Beitrag, welcher zum Beispiel Norwegen bezahlt. Wir müssen aber anerkennen: Die Schweiz hat bereits 1993 einen eigenen Weg eingeschlagen. Wir Österreicher haben ein starkes Verständnis dafür.
Das Gespräch führte Peter Balzli.