SRF News: Wie gut ist die Berichterstattung über Nordkorea bei uns im Westen?
Orville Schell: Es gibt kein Land auf der Welt, über das wir weniger wissen als über Nordkorea. Ich konnte Nordkorea schon selber besuchen. Dort hat man mir gezeigt, was man jedem Gast zeigt: die Potemkinschen Dörfer, die Statuen, die Museen, die demilitarisierte Zone am 38. Breitengrad oder ein Ferienresort an der Küste des Landes. Das alles ist inszeniert. Es ist sehr schwierig, den Vorhang aufzuziehen und zu sehen, was wirklich los ist. In vielen Fällen erinnert mich die Situation in Nordkorea an jene in China zur Zeit der Kulturrevolution.
Gibt es blinde Flecken, die wir Journalisten übersehen?
Vielleicht haben wir zu hohe Erwartungen an China. Auch US-Präsident Donald Trump denkt ja, China könne das Nordkorea-Problem im Alleingang lösen. Tatsächlich könnte China mehr tun. Peking setzt sich erst in letzter Zeit und nur zögerlich für UNO-Sanktionen gegen Pjöngjang ein. Doch China könnte auch die Eisenbahnlinien nach Nordkorea stilllegen oder die beiden Brücken über den Jalu-Grenzfluss sperren. Es könnte die Luftfahrtkommunikation einschränken, die Öl-Pipelines zudrehen und lokale Bankgeschäfte erschweren.
Washington müsste einen Friedensvertrag unterschreiben – das wäre innenpolitisch nicht einfach zu verkaufen.
Das heisst, China ist eigentlich der Schlüssel zur Lösung dieses Konflikts?
China hat eine gewisse Kontrolle über Nordkorea. Wie gross der Einfluss ist, wissen wir aber erst, wenn China die Schrauben auch anzieht. Ich glaube nicht, dass das Kim-Regime sein Atomwaffen-Programm ganz aufgibt, aber vielleicht liesse sich ein Aufsichtsmechanismus etablieren, damit die Waffen wenigstens nicht weiterverbreitet werden oder in falsche Hände geraten.
Die USA, Südkorea und Japan müssten aber auch etwas beitragen. So müsste Washington etwa bereit sein, zu versprechen, dass sie das Regime nicht stürzen. Das wäre innenpolitisch nicht einfach zu verkaufen, und man müsste einen Friedensvertrag unterschreiben. Das ist nach dem Korea-Krieg in den 1950er Jahren nie geschehen. Für Nordkorea wäre dies jedoch sehr wichtig.
Könnte das mit Iran vereinbarte Nuklear-Abkommen auch für Nordkorea eine Lösung sein? Auch wenn Präsident Trump von der Vereinbarung nicht begeistert ist?
Das Iran-Abkommen ist ein interessantes Modell, wenngleich die Situationen in Iran und in Nordkorea nicht völlig identisch sind. Ich glaube nicht, dass Trump das Iran-Abkommen aufhebt. Jetzt, da er im Amt ist, scheint er zu realisieren, dass ein solcher Schritt nicht nur unsere Verbündeten verärgern, sondern Iran wieder zur Nuklearmacht machen würde. Vor allem aber wäre es ein schlechtes Beispiel für Nordkorea. Wir wollen das Regime in Pjöngjang ja irgendwie an den Verhandlungstisch bekommen. Die Nordkoreaner schauen sehr genau, was die USA mit Iran machen.
Trump schlägt auf Twitter und in seinen Reden harsche Töne an. Ist unter solchen Umständen eine von Ihnen skizzierte Lösung überhaupt möglich?
Trump legt sich bei keinem Thema richtig fest und das gibt ihm ironischerweise eine gewisse Flexibilität. Wenn er im November Chinas Präsident Xi Jinping besucht, kann es sein, dass die beiden Politiker einen Handel betreffend Nordkorea eingehen. Ich befürchte allerdings, dass ein solcher Handel auch beinhalten würde, dass die Amerikaner das Südchinesische Meer den Chinesen überlassen.
Xi könnte zu Trump sagen: «Hör mal, ich helfe dir mit einer Lösung für Nordkorea, dafür lasst ihr uns in Ruhe im Südchinesischen Meer. Sag den Japanern, sie sollen ruhig sein und wir wollen keine Waffenverkäufe mehr nach Taiwan.» Die beiden könnten einen solchen Deal aushecken. Nordkorea wäre dann unter Kontrolle. Doch es entstünden grosse Spannungen in anderen Regionen Asiens, und die USA müssten traditionelle Verpflichtungen gegenüber ihren Verbündeten aufgeben.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.