Das Schweizer Sexualstrafrecht soll modernisiert und an die heutigen Begebenheiten angepasst werden. Ein Vorschlag, der diskutiert wird, ist die Zustimmungslösung, auch bekannt unter dem Titel «Ja heisst Ja»: Sexuelle Handlungen sind nur einvernehmlich, wenn beide Partner zugestimmt haben. Schweden kennt dieses Prinzip des beiderseitigen Einverständnisses bereits. Welche Erfahrungen man damit macht, weiss Nordeuropa-Mitarbeiter Bruno Kaufmann.
SRF News: Die Zustimmungsregelung ist in Schweden seit knapp drei Jahren in Kraft. Was sind die Erfahrungen damit?
Bruno Kaufmann: Übers Ganze betrachtet positiv. In der Bevölkerung wurde die Gesetzesänderung als Selbstverständlichkeit aufgenommen. Keine politische Partei im Parlament hatte sich dagegen ausgesprochen. Im Vordergrund steht das Verständnis von gegenseitigem Respekt und Selbstbestimmung in sexuellen Beziehungen.
Grosse Bedenken gab es im Vorfeld und beim Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes in juristischen Fachkreisen: Hier sind die Meinungen weiterhin geteilt. Staatsanwälte und Richter ziehen eine positive Bilanz, die Polizei ist gespalten, Strafverteidiger jedoch beklagen sich über eine wachsende Rechtsunsicherheit ihrer Klienten.
Ziel der Regelung war, dass mehr Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht werden und damit mehr Vergewaltiger verurteilt werden können. Ist das eingetroffen?
Ja, dieses Ziel wurde erreicht. Im ersten Jahr nach Einführung des neuen Gesetzes kam es zu einem Fünftel mehr Anzeigen und zehn Prozent mehr Verurteilungen.
Im ersten Jahr nach Einführung des Gesetzes kam es zu einem Fünftel mehr Anzeigen und zehn Prozent mehr Verurteilungen.
Die Zahl der angezeigten mutmasslichen Täter verdoppelte sich von 250 auf 500 Personen. Bei geschätzt 5000 Vergewaltigungsfällen im Jahr sind das immer noch erst gut zehn Prozent der Fälle. Oder anders gesagt: Auch mit dem neuen Gesetz liegt die Latte für eine Anzeige immer noch ziemlich hoch.
Nun gibt es in Schweden den neuen Straftatbestand «fahrlässige Vergewaltigung». Wann kommt der zum Einsatz?
Dann, wenn der Strafbestand der schweren Vergewaltigung nicht gegeben ist. Das heisst, wenn es zu unfreiwilligem Sex kommt, ohne dass Gewalt, Schutzlosigkeit oder ein Abhängigkeitsverhältnis vorliegt. In der Praxis kam es bislang vor allem in zwei Bereichen zu Verurteilungen wegen «fahrlässiger Vergewaltigung»: bei unfreiwilligem Sex im Anschluss an Partys junger Menschen, die im gleichen Bett übernachten, oder bei Menschen, die sich über Dating-Apps kennengelernt haben und es dann zu Treffen mit ungleichen Erwartungen kommt.
Wo liegen denn die grössten juristischen Knacknüsse?
Einerseits bei der Abgrenzung schwerer Vergewaltigungsfälle von fahrlässigen Vergewaltigungsfällen. Aber auch in Fällen, wenn sich etwa ein Gericht nicht einer der Prozessparteien anschliessen kann und das Urteil «fahrlässige Vergewaltigung» als Mittelweg zwischen einer Verurteilung für eine schwere Vergewaltigung und einem Freispruch wählt. Hinzu kommt, dass viele Polizisten noch Mühe haben, Fälle zu bearbeiten, bei denen es nicht zu Gewalt gekommen ist.
Sind missbräuchliche Fälle bekannt?
Keine offensichtlichen. Wie gesagt, liegen die Hürden für eine Anzeige und alles was daraus ausgelöst in Bezug auf die eigene Privatsphäre auch mit dem neuen Tatbestand weiterhin hoch. In Schweden gibt es aber heute keine Stimmen, die auf die 2018 beschlossene Reform zurückkommen möchte. Das sogenannte Zustimmungsgesetz ist insofern heute unumstritten. Diskutiert wird aber weiterhin über die rechtliche Umsetzung und Praxis.
Das Gespräch führte Bigna Silberschmidt.