Einmal mehr sah sich Spanien als Avantgarde des Feminismus – einmal mehr nicht ganz unberechtigt, als im Oktober das neue Sexualstrafrecht in Kraft trat, inklusiv dem «Nur-Ja-heisst Ja»-Prinzip («Solo Sí es Sí»), wonach Sex ohne freiwillige Zustimmung als Vergewaltigung gilt und das Opfer nicht mehr beweisen muss, dass es sich gewehrt hat. Ein Meilenstein der Koalitionsregierung aus Sozialistischer Partei (PSOE) und dem linksalternativen Bündnis Unidas Podemos.
Die Bilanz nach sechs Monaten: ein politisches Hickhack und eine erneute Revision des Gesetzes. Was ist passiert? Im «Gesetz zur Garantie der sexuellen Freiheit» wurde die frühere Unterscheidung zwischen sexuellem Missbrauch und sexueller Gewalt abgeschafft.
Revision auch beim Strafmass
Gemäss «Nur-Ja-heisst-Ja»-Prinzip gilt nun jede Handlung gegen den Willen der Beteiligten als sexuelle Gewalt. Dabei ist entscheidend, dass nicht nur höhere Höchststrafen eingeführt wurden, sondern auch tiefere Mindeststrafen bei Fällen ohne körperliche Gewaltanwendung.
Daraufhin gingen, auch mangels Übergangsklauseln, knapp 3000 Verurteilte in Revision, ein Drittel bekam mildere Strafen und gut 100 Männer konnten das Gefängnis vorzeitig verlassen. Das sorgte weitherum für Irritation und Empörung: Im Wahljahr ein gefundenes Fressen für die bürgerliche Opposition und eine Zerreissprobe für die linke Koalitionsregierung.
Was die PSOE mit der neusten Korrektur – der Wiedereinführung höherer Strafen bei Gewaltanwendung – als Verbesserung im Detail sieht, ist für Gleichstellungsministerin Irene Montero eine Aufweichung des Grundprinzips.
Dessen ungeachtet heisst es in der Praxis, an Gerichten und bei der Opferhilfe: Noch sei es zu früh für eine Bilanz von «Nur-Ja-heisst-Ja». Es sehe nach einer leichten Erhöhung der Zahl der Anzeigen aus.
Auf Gewalt an Frauen spezialisierte Gerichte gibt es schon
Ein sehr wichtiger Meilenstein bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen seien ohnehin die schon vor 18 Jahren landesweit eingerichteten «Juzgados de violencia sobre la mujer»: Gerichte, spezialisiert auf Gewalt an Frauen, sofern sie von Personen aus der Familie ausgeübt wurde.
Sind Männer familienfremde Täter oder selbst Opfer von Gewalt, sind die üblichen Strafgerichte zuständig. An den Frauengerichten speziell: Nicht nur Strafrechtliches wird verhandelt, auch Zivilrechtliches wie Alimente, Sorgerecht oder Kontaktverbote. Angeboten wird auch juristische und psychologische Beratung bis zum Kinderhüten bei Vorladungen.
Vorteil der Spezialisierung
Carmen Gámiz, Richterin in Madrid, sagt dazu: «Der grösste Vorteil dieser Gerichte ist die Spezialisierung aller Beteiligten. Nicht nur der Richterinnen, auch der Staatsanwälte und der Gerichtsschreiberinnen und damit Personal mit jahrelanger Erfahrung. Und auch, dass es in der Anwaltsausbildung Spezialisierungen gibt auf den Schutz der Opfer und auf die Verteidigung des mutmasslichen Gewalttäters.»
In ihrem Alltag am Gericht gelte weiterhin: «Bei Delikten, die in der Intimität passieren, gibt es trotzdem Indizien, die die Version des Opfers untermauern können: Verletzungen, Leute, die etwas gehört haben, Kamera-Aufnahmen im öffentlichen Raum. Auch die Art, wie die Frau aussagt, die Nähe, die sie schafft, die Details, die wir zu hören bekommen.»
Da bleibe die Rechtsprechung eine Gratwanderung. Und bei Mangel an Beweisen und Indizien gelte weiterhin: «Im Zweifel für den Angeklagten.»