Im Parlament setzt sich beim Sexualstrafrecht das Prinzip «Nein heisst Nein» durch. Zudem wird die Schockstarre, das «Freezing», separat ins Gesetz geschrieben. Die Co-Präsidentin der SP Frauen, Tamara Funiciello, hat sich stets für «Ja heisst Ja» eingesetzt. Trotzdem ist sie zufrieden mit der Lösung. Im Interview erklärt sie, weshalb.
SRF News: Sie versuchen seit Jahren, andere Leute vom Prinzip «Nur Ja heisst Ja» zu überzeugen. Welche Reaktion eines Parlamentariers hat Sie am meisten überrascht?
Tamara Funiciello: Ich hatte ein paar sehr überraschende Reaktionen, vor allem in den letzten paar Wochen und Monaten. Der eine oder andere Parlamentarier hat gesagt: Jetzt verstehe ich, warum ihr diese Revision des Sexualstrafrechts wollt. Das hat gezeigt, wie stark wir den Diskurs in diesem Land verändern konnten.
Im Nationalrat hat es für «Ja heisst Ja» eine Allianz von linken bis zu bürgerlichen Frauen gegeben. Jetzt wird aber «Nein heisst Nein» ins Gesetz geschrieben. Heisst das, die Männer haben sich durchgesetzt?
Nein. Es ist ein Kompromiss. Ich würde sogar sagen, es ist eher ein Sieg unserer Seite. Man muss sehen, was am Schluss auf dem Tisch liegt.
Man ist uns so weit entgegengekommen, wie es irgendwie geht.
Und das ist eine Lösung, die zwar «Nein heisst Nein» als Prinzip hat, aber zudem das «Freezing», also die Schockstarre, ins Gesetz schreibt. Man ist uns so weit entgegengekommen, wie es irgendwie geht.
Ihr Lieblingsbeispiel in dieser Debatte war: Wenn Sie mir Geld aus dem Portemonnaie herausnehmen und mich nicht fragen, dann ist es ein Diebstahl – und dasselbe müsse für sexuelle Handlungen gelten. In dieser Logik ist ein Körper auch künftig weniger gut geschützt als ein Portemonnaie. Das nennen Sie einen Sieg?
Im Prozess selbst wird es mit dieser Lösung keinen Unterschied machen. Ein Körper wird tatsächlich gleich gut geschützt sein. Es reicht eine passive oder aktive Willensäusserung, damit der Täter verurteilt wird, wenn der Wille übergangen wird.
Über das «Freezing» wurde viel gesprochen. Warum hilft die aktuelle Lösung den Betroffenen?
Kann sich ein Opfer nicht bewegen, wird das künftig auch als Vergewaltigung gewertet, wenn eine Person weitermacht. Das ist ein wichtiger Schritt. Ein Grossteil der Opfer von Sexualdelikten sind in einem solchen Zustand. Sie können dies dann vor Gericht geltend machen.
Kann sich ein Opfer nicht bewegen, wird das künftig auch als Vergewaltigung gewertet, wenn eine Person weitermacht.
Sie haben aber oft gesagt, das gesellschaftliche Signal einer Zustimmungslösung sei entscheidend. Dieses Signal verpassen Sie jetzt.
Dies ist der Preis, den wir bezahlen. Was wir aber zusätzlich zu dieser Lösung «Nein heisst Nein plus Freezing» bekommen, ist die Täterarbeit. Dort können wir auch ein Signal aussenden: Weil die Täter gezwungen werden, einen Kurs oder eine Therapie zu machen, die dazu führt, dass sich das Verhalten ändert. Dort ändern wir tatsächlich die Gesellschaft.
Bei dieser Gesetzesrevision geht es auch um härtere Strafen für Täter. Sie sind dagegen. Wieso?
Ich bin nicht grundsätzlich gegen härtere Strafen. Ich bin gegen Geldbussen für Vergewaltiger.
Aber Sie sind zum Beispiel gegen eine Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren, die Teile der Bürgerlichen fordern.
Meine Sorge ist ganz klar, dass Richterinnen und Richter dann darauf verzichten, Täter der Vergewaltigung zu bezichtigen und auch zu verurteilen, wenn die Strafe zu hoch ist.
Die Strafhöhe führt nicht zu einer präventiven Wirkung.
Zudem gibt es wirklich unzählige Studien, die belegen: Es ändert nichts. Die Strafhöhe führt nicht zu einer präventiven Wirkung.
Es hat in den letzten Jahren eine grosse gesellschaftliche Debatte rund um das Thema gegeben. So wie zuletzt bei der Ehe für alle. Welches Thema kommt als Nächstes?
Es müssen ganz viele weitere Schritte folgen. Das Sexualstrafrecht ist nur ein Puzzleteil in dieser ganzen Diskussion.
Ein Beispiel für ein weiteres Puzzleteil?
Wir brauchen unter anderem Krisenzentren, Ausbildungen für Richterinnen und Richter und Schulungen für die Polizei.
Das Gespräch führte Larissa Rhyn.