Wann ist Sex einvernehmlich, wann ist es eine Nötigung, wann eine Vergewaltigung? Diese Frage hat am Montagabend der Nationalrat diskutiert. Er will weiter gehen als der Ständerat und hat sich für «Nur Ja heisst Ja» ausgesprochen. Wenn eine sexuelle Handlung also ohne Zustimmung stattfindet, soll sie künftig als Vergewaltigung oder Nötigung gelten. Das ist bisher nicht so – von Vergewaltigung spricht man heute erst, wenn das Opfer beweisen kann, dass es sich gewehrt hat. Was dieser Systemwechsel bedeuten könnte, erklärt Expertin Agota Lavoyer.
SRF News: Der Nationalrat hat sich für die Lösung «Nur Ja heisst Ja» ausgesprochen. Was heisst das für Betroffene von sexueller Gewalt?
Agota Lavoyer: Für sie ist das ein sehr wichtiges Zeichen. Es zeigt den Betroffenen: Wir hören euch, wir glauben euch und wir nehmen euch ernst. Das ist nicht zu unterschätzen. Nicht zuletzt sagt der Nationalrat mit diesem Entscheid klar Nein zu veralteten Geschlechterstereotypen, Victim blaming (dt.: Täter-Opfer-Umkehr) und Mythen über sexualisierte Gewalt.
Wie hilft die Lösung «Nur Ja heisst Ja» Betroffenen konkret?
Sie zeigt ihnen, dass das, was sie instinktiv als Unrecht empfunden haben, tatsächlich auch als Unrecht eingestuft wird. Es zeigt ihnen, dass sie ihre sexuelle Integrität nicht mit Fäusten und auch nicht mit einem Nein schützen müssen. Die sexuelle Integrität wird per se als schützenswert eingestuft.
Für Opfer ist es ein wesentlicher Unterschied, ob ein Verfahren mangels Beweisen eingestellt wird, oder weil die Tat selbst nicht als Unrecht eingestuft wird.
So steht die Frage nach Zustimmung im Zentrum und nicht die Frage nach Widerstand. Das ist für die Opfer nachvollziehbarer als die Frage, warum sie sich nicht gewehrt haben oder geflüchtet sind. Solche Fragen sind für die Opfer sehr schuldzuweisend. Die Erfahrungen anderer Länder wie Schweden zeigen auch, dass die Zustimmungslösung zu mehr Anzeigen geführt hat.
Können mit der Zustimmungslösung auch mehr Täter verurteilt werden?
Im besten Fall ist das so. Man sollte aber nicht zu hohe Erwartungen haben. Das wissen Betroffene auch. Sexualdelikte bleiben Vier-Augen-Delikte und schwierig nachzuweisen. Es darf aber nicht sein, dass man eine Tat nicht als Straftat anerkennt, bloss, weil sie schwierig nachzuweisen ist.
Die Gegner von «Ja heisst Ja» warnen, Opfern würde mit der Änderung falsche Hoffnungen gemacht.
Die Betroffenen haben sich in dieser Frage klar geäussert, welche durchaus realistischen Hoffnungen sie mit dieser Variante verbinden. Ich empfinde es als Affront ihnen gegenüber, so zu tun, als würden sie nicht verstehen, dass auch mit «Ja heisst Ja» die Beweisbarkeit schwierig bleibt. Für Opfer ist es ein wesentlicher Unterschied, ob ein Verfahren mangels Beweisen eingestellt wird, oder weil die Tat selbst nicht als Unrecht eingestuft wird.
Wenn man unsicher ist, ob das Gegenüber zu sexuellen Handlungen einwilligt oder nicht, soll man unbedingt nachfragen.
Die neue Regelung könnte viele Menschen verunsichern. Man fragt sich zum Beispiel, was nun als Zustimmung gilt und wie explizit diese sein muss.
Es wäre sehr erfreulich, wenn diese Frage endlich die Wichtigkeit bekommen würde, die sie verdient. In der zwischenmenschlichen Kommunikation ist es absolut zentral, dass man weiss, was Konsens ist und wie man ihn herstellt. Ein «vielleicht» oder «ich bin jetzt müde» ist kein Konsens. Hier müssen die Sexualaufklärung oder auch die Prävention ansetzen. Grundsätzlich rate ich: Wenn man unsicher ist, ob das Gegenüber zu sexuellen Handlungen einwilligt oder nicht, soll man unbedingt nachfragen. Schliesslich gibt es nichts Erotischeres als dieses «Ja, ich will».
Das Gespräch führte Vera Deragisch.