Seit elf Jahren ist Viktor Orban mittlerweile in Ungarn an der Macht. In dieser Zeit hat er sich und seiner Fidesz-Partei so viel Macht zugeschanzt, dass der Politologe András Körösényi das System in Ungarn «Führerdemokratie» nennt. Die US-Menschenrechtsorganisation Freedom House bezeichnet Ungarn als einen nur «zum Teil freien Staat». Trotzdem: die Mächtigen in Ungarn fürchten sich vor dem Volk.
Widersprüche und Irritationen
Am 15. Juni wird die ungarische Regierung über 60'000 Zuschauer ins neue Puskas-Stadion einlassen, zum Euro-Fussballspiel Ungarn gegen Portugal. Dieselbe Regierung begrenzte aber die Teilnehmerzahl an einer regierungskritischen Demonstration auf maximal 500 Personen. Kein Wunder hielten sich die Demonstrierenden nicht an die Vorgabe. Viele Tausend gingen am Samstag in Budapest auf die Strasse.
Letztes Jahr beschloss die Regierung, den Kommunen wichtige Einnahmen wegzunehmen: Parkgebühren, Fahrzeugsteuern und Touristenabgaben. Angeblich, weil in der Pandemie die Zentralregierung mehr Geld brauche. Dieselbe Regierung hat aber gerade beschlossen, 1.5 Milliarden Euro auszugeben, um in Budapest eine Zweigstelle der chinesischen Fudan-Universität zu bauen. Die Uni wird kontrolliert werden von der kommunistischen Partei Chinas. Jeder und jede dort wird sich deren Verhaltenskodex unterwerfen müssen.
Das irritiert auch viele von Viktor Orbans Freunden. Denn Orban war zwar bis zur Wende 1989 ein kommunistischer Funktionär. Doch im Mai 1989 forderte er in einer historischen Rede den Abzug der russischen Truppen aus Ungarn. Diese Rede war der Grundstein zu Orbans Politkarriere und begründete seine späteren politischen Erfolge. Er rühmt sich bis heute immer wieder, den Kommunismus in Ungarn bekämpft zu haben.
An der Demonstration gegen die Fudan-Universität sagte der oppositionelle Bürgermeister von Budapest, er werde den Bau der kommunistischen Universität verhindern und: «Die Regierung ist viel schwächer, als sie aussieht». Hat er recht?
Aufbau eines Parallelstaats
Trotz aller Macht scheinen Orban und seine Leute die Wahlen im Frühling 2022 zu fürchten. Warum sonst hätte die Regierung kürzlich begonnen, Staatsbesitz im Wert von vielen Milliarden Euro an private Stiftungen zu verschenken, die fast alle von Fidesz-Leuten oder deren Freunden geleitet werden – ernannt auf Lebenszeit. Volksvermögen, das einer allfälligen nächsten Regierung nicht mehr zur Verfügung stehen wird.
Damit baue Viktor Orban einen Parallelstaat auf, «in dem ein Regierungswechsel kein Risiko mehr bedeutet», sagt der Journalist Márton Gergely von der Zeitschrift HVG.
Sollte die Fidesz-Partei nächstes Jahr die Wahlen verlieren, würde wohl eine beträchtliche Zahl ihrer Schlüsselfiguren wegen Korruption im Gefängnis landen. Allerdings sagte der ungarische Historiker Krisztián Ungváry kürzlich auch: «Dieses Regime kann durch eine Wahl nicht besiegt werden. Und sicherlich nicht bei einer, die Fidesz organisiert hat».