«Die Linke will die Strassenbeleuchtung abschalten und die Busse anhalten»: Diese Titelgeschichte aus der Stadt Pecs ist schlechter Journalismus. Denn der Bürgermeister von Pecs ist nicht links, er gehört zu keiner Partei. Und er möchte keineswegs Strassenlaternen ausknipsen und Buslinien streichen.
Nur: Er bekommt dieses Jahr möglicherweise weniger Geld als sonst von Ungarns Regierungschef Viktor Orban. So wenig, dass er sparen muss – wenn es gar nicht anders geht, dann vielleicht bei Licht und Linienverkehr.
Orban fürchtet sich vor seinen Gegnern
Das steht allerdings nicht im Artikel in der neuen Gratiszeitung «City 7». Diese gibt es seit kurzem an Bushaltestellen und anderswo in ungarischen Städten – hunderttausende Exemplare, überall dort, wo Orbans Partei nicht regiert.
Fette Buchstaben schreien auf den ersten Seiten: «Orbangegner regieren schlecht!» Hinter der Zeitung steckt eine Stiftung von Orban-Getreuen.
Die Linke ist auf der Seite des Virus.
Auch diese Aussage in einem anderen Artikel ist Unsinn. Einige ungarische Orbangegner waren zuerst skeptisch, als der Regierungschef – als erster in Europa – russische und chinesische Impfstoffe gegen das Coronavirus einkaufte. Punkt.
Orban fürchtet sich vor seinen Gegnern. In Ungarn sterben – gemessen an der Grösse des Landes – so viele Menschen wie sonst kaum irgendwo wegen des Coronavirus. Und Orbans Gegner haben sich zusammengetan, wollen ihm bei den Wahlen in einem Jahr gebündelt den politischen Garaus machen. Die neue Gratiszeitung ist Wahlkampf.
Viktor Orban: Das Land wird neu gestartet.
In der Zeitung ist zu lesen, wie toll Orban die Pandemie in den Griff bekommt. Wen solche Lobeshymnen langweilen oder reizen, der muss sich inzwischen anstrengen in Ungarn.
Das Orban-Lager hat alle Radiostationen und fast alle Zeitungen übernommen – der grösste Fernsehsender ist zwar unabhängig, aber kaum politisch. Es bleibt das Internet mit seinem kritischen Journalismus – aber Lokalnachrichten für Ungarns kleinere Städte gibt es auf diesen Seiten fast keine.
Praktisch das einzige echte Inserat in Orbans Gratiszeitung kommt aus der Schweiz: von Stadler, dem Zug- und Trambauer. Offenbar braucht die neue Gratiszeitung keine Werbung, offenbar muss sie nicht rentieren.
Werbung ist in Orbans Ungarn auch eine Waffe: Ungarische Journalisten haben berechnet, dass die regierungstreuen Medien praktisch die ganze staatliche Werbung bekommen. Die unabhängige Konkurrenz wird ausgehungert.
Unentschlossene umstimmen
Am Schluss etwas Sport, allzu türkise Ferienträume, schöne Autos, Kreuzworträtsel. Das schaut man sich gerne an. Es ist eine Gratiszeitung auch für Unpolitische – die erste in vielen ungarischen Städten, dort, wo die Menschen bei den letzten Wahlen nicht Viktor Orbans Partei gewählt haben. Dort will Orban nächstes Mal zumindest die Unentschlossenen zu sich holen.
Ungarn sei kein demokratisches Land mehr, hört man immer wieder. Orban selbst winkt bei dem Argument jeweils ab und sagt, seine konservative «illiberale» Demokratie passe dem westlichen Mainstream einfach nicht. Orbans Verständnis von Demokratie heisst auch: freie, aber nicht unbedingt faire Wahlen.