Die Explosionen kamen in zwei Wellen und wie aus heiterem Himmel: Menschen, die blutend und schreiend zusammenbrechen, Explosionen, die nicht nur die Besitzer von Pagern und Walkie-Talkies verletzen oder töten, sondern auch die Menschen, die zufällig gerade in ihrer Nähe waren.
Hisbollah-Mitglieder waren offensichtlich das Ziel dieser Angriffe. Nur: War der Angriff auch gezielt genug, um völkerrechtliche Normen zu erfüllen?
Fragen, die nicht einfach zu beantworten seien, sagt Helen Keller, Professorin für Völkerrecht an der Universität Zürich. Klären müsste man erst, ob die kriegerischen Handlungen zwischen Israel – das im Verdacht steht, hinter dem Pager-Angriff zu stehen – und der Hisbollah als internationaler bewaffneter Krieg zu qualifizieren sind, ob die Terrorgruppe Hisbollah überhaupt einem Staat zugeordnet werden kann oder nicht.
Wenn ja, dann müsste sich Israel an die Grundregel halten, dass zwischen Kombattanten und Zivilisten unterschieden werden müsse. Bei dem Pager-Angriff treffe das nicht zu, sagt Keller. «Das ist bei dieser Angriffsform schon mal nicht gegeben. Man könnte sogar den Vergleich ziehen zu einer Streubombe. Allein schon der Gebrauch macht es unmöglich, Kombattanten von Zivilisten zu unterscheiden.»
Verhältnismässigkeit ist nicht gegeben
Die zweite wichtige Regel, die es zu beachten gebe, sei die Verhältnismässigkeit, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen internationalen, nationalen oder internen Konflikt handle. «Und auch hier würde ich sagen, dass die Verhältnismässigkeit nicht gegeben ist. Allein schon wegen der grossen Zahl von Opfern, die sicher nicht als Kombattanten qualifiziert werden können,» sagt Helen Keller.
Die Verhältnismässigkeit ist unter Experten umstritten: Die mit Sprengstoff präparierten Funkgeräte hätten Hisbollah-Mitgliedern gehört, und daher war anzunehmen, dass auch diese getroffen würden. Wie viele der Verletzten Mitglieder der Hisbollah-Miliz waren, ist jedoch unbekannt. Ebenso, wie viele der 37 Getöteten zur Hisbollah gehörten. Die Hisbollah selbst meldete 32 tote Mitglieder seit Dienstag, machte aber keine Angaben darüber, ob diese bei den Pager-Explosionen umkamen.
«Selbst wenn wir davon ausgehen, dass alle 37 Getöteten Angehörige der Hisbollah sind, wären über 3000 Verletzte ein zu hoher Preis. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Gericht das als verhältnismässig anschauen würde.»
Pager-Explosionen – ist das nicht Terrorismus?
Die massenhafte, fast gleichzeitige Explosion von Kommunikationsgeräten hat die Bevölkerung Libanons in Angst und Schrecken versetzt. Ist das nicht Terrorismus? «Man könnte auf die Idee kommen, das als Terror zu qualifizieren. Da wäre ich aber sehr vorsichtig. Ich bin auch nicht sicher, ob das wirklich etwas bringt, weil wir dann nahe beim Begriff ‹Staatsterror› sind. Und dann müssten wir uns die Frage stellen, ob nicht auch andere Staaten beschuldigt werden könnten.»
Dürfen zivile Gegenstände als Waffen eingesetzt werden?
Qualifiziere man den Konflikt zwischen Israel und Libanon respektive der Hisbollah als internationalen Konflikt, dann stelle sich die Frage von Kriegsverbrechen. Darf man Pager, also eigentlich zivile Gebrauchsgegenstände, als Waffen einsetzen? «Diese Frage beantwortet das Völkerrecht so nicht», sagt Helen Keller. Rechtlich gehe es hier um «Dual Use Güter» und die Frage: «Was kann man zivil und militärisch nutzen und in welche Staaten darf man solche Gebrauchsgegenstände nicht ausliefern?»
Bis jetzt ist jedoch noch nicht einmal klar, wo die Pager und Walkie-Talkies hergestellt wurden, die zu Bomben umfunktioniert wurden.