In Libanon sind am Dienstag und Mittwoch Pager und Funkgeräte explodiert. Dutzende Menschen starben dabei gemäss lokalen Angaben, Tausende wurden verletzt. Es wird vermutet, dass Israel der Hisbollah damit einen empfindlichen Schlag versetzen wollte. Wäre eine solche Aktion gemäss dem humanitären Völkerrecht überhaupt legal? Der Experte ordnet den Fall ein.
SRF News: Wenn sich die Vorwürfe bestätigen: Was sagt das humanitäre Völkerrecht zu einem solchen Angriff seitens Israels?
Marco Sassòli: Aus Sicht des humanitären Völkerrechts stellt sich vor allem die Frage, ob die Getöteten legitime Ziel waren. Dies wären entweder Kombattanten in einem bewaffneten Konflikt oder eine bewaffnete Gruppe. Wer eine ständige Kampffunktion hat, darf angegriffen werden. Und ich glaube, dass Israel geltend machen kann, dass es sich in einem bewaffneten Konflikt mit der Hisbollah befindet.
Ich würde sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Zivilpersonen getroffen werden, bei dieser Vorgehensweise geringer ist, als wenn man eine Rakete auf ein legitimes Ziel schiesst.
Wir müssten wissen, ob es sich bei den Opfern wirklich um Hisbollah-Kämpfer handelte und nicht um einfache Mitglieder der Organisation. Was wir wissen, ist, dass es auch den iranischen Botschafter getroffen hat, der nun sicherlich kein Kämpfer ist – auch wenn man den Iran nicht mag.
Und Kommunikationsgeräte als Ziel: Ist das legitim?
Israel hat ein Zusatzprotokoll ratifizert, das den Einbau von Sprengsätzen in harmlose Gebrauchsgegenstände verbietet. Ob ein Pager ein harmloser Gebrauchsgegenstand ist, ist eine andere Frage.
Und die zivilen Opfer?
Ich würde sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Zivilpersonen getroffen werden, bei dieser Vorgehensweise geringer ist, als wenn man eine Rakete auf ein legitimes Ziel schiesst, was Israel in der Vergangenheit ja einige Male gegen Hisbollah-Führer getan hat.
Aber wäre ein solcher Angriff Israels verhältnismässig?
Im humanitären Völkerrecht spielt Verhältnismässigkeit nur zum Schutz von Zivilpersonen eine Rolle, die mitbetroffen sind. Das sind zum Beispiel alle Palästinenserinnen und Palästinenser in Gaza, wenn Israel Hamas-Kämpfer angreift. Aber in diesem Fall waren, glaube ich, nicht so viele Zivilisten betroffen.
Wenn die Ziele also legitim waren, dann ist die Verhältnismässigkeit im humanitären Völkerrecht wohl nicht infrage gestellt. Die Frage ist aber, ob es eine verhältnismässige Antwort auf die Gewaltausübung seitens der Hisbollah war. Die Israelis sagen Ja, weil die Hisbollah Israel ja eliminieren möchte.
Sehen Sie in einem solchen Angriff Gefahren für die Zukunft der modernen Kriegsführung?
Die Hauptgefahr besteht darin, dass solche Mittel in Zukunft weltweit eingesetzt werden – auch ausserhalb eines bewaffneten Konflikts oder im Rahmen eines Konflikts, aber gegen Personen, die sich in Ländern ausserhalb des Konflikts aufhalten. Die Amerikaner behaupten ja etwa, dass der Kampf gegen den Terrorismus ein Krieg sei. Würden solche Mittel gegen Terroristen weltweit eingesetzt, wäre das sehr gefährlich.
Wird der Vorfall Konsequenzen haben?
Dass der UNO-Sicherheitsrat – zu Recht – eine Dringlichkeitssitzung einberufen hat, geschah weniger wegen der Frage, ob humanitäres Völkerrecht verletzt wurde, sondern wegen der drohenden Eskalation. Der Angriff war eine unglaubliche Provokation an die Adresse der Hisbollah und des Iran. Und irgendwann werden die antworten – wenn auch nicht unbedingt mit Pagern.
Das Gespräch führte Marcel Anderwert.