Der Schock ist immer noch gross in Libanon. Am Mittwochabend ist es erneut zu zahlreichen Explosionen gekommen. Nach den Pagern am Dienstag sind bei der zweiten Explosionswelle Walkie-Talkies, also Funkgeräte, von Hisbollahmitgliedern explodiert. Medien berichten von mindestens 20 Toten und Hunderten Verletzten bei dieser zweiten Welle. Die freie Journalistin Stefanie Glinski hat die Ereignisse aus nächster Nähe erlebt.
SRF News: Wie haben Sie die zweite Explosionswelle in Libanon wahrgenommen?
Stefanie Glinski: Ich war in einem südlichen Vorort von Beirut, in Dair, an der Beerdigung von drei Männern und eines achtjährigen Jungen. Grosse Menschenmengen hatten sich da versammelt zu einem Trauermarsch. Viele hatten die gelbe Hisbollahflagge dabei. Es spielte Musik. Die Menschen waren sehr traurig und schockiert.
Ganz plötzlich gab es einen lauten Knall direkt vor uns. Ein Mann fiel um. Rauch kam plötzlich aus seinem T-Shirt.
Ich habe kurzfristig entschieden, die Geschehnisse von einem Balkon eines Hauses anzuschauen. Ganz plötzlich gab es einen lauten Knall direkt vor uns. Ein Mann fiel um. Rauch kam plötzlich aus seinem T-Shirt und es gab kurz einen stillen Moment. Danach haben alle Leute angefangen zu schreien. Der Mann hatte ein Walkie-Talkie an sich, das explodiert ist. Die Menschen haben sofort nach einem Krankenwagen gerufen. Ich fand es schrecklich, es war direkt vor dem Balkon, auf dem ich stand. Der Krankenwagen kam schnell und es gab auch schnell weitere Explosionen. Es war ein komplettes Chaos.
Der Angriff galt der Hisbollah, doch getroffen wurden auch Zivilistinnen und Zivilisten und Kinder. Sie waren im Austausch mit Betroffenen und Angehörigen. Wie gehen diese mit der Situation um?
Die Menschen haben grosse Sorge. Ich hatte vorher mit der Tante dieses achtjährigen Jungen gesprochen. Er hiess Mohammed und war anscheinend ein sehr lebensfroher Junge. Seine Schulfreunde waren bei der Beerdigung. Es war sehr schockierend.
Eine Frau, mit der ich mich unterhalten hatte, erzählte mir, dass sie vor elf Jahren nach Libanon gekommen sei, aufgrund des Krieges in Syrien. Es scheint für sie so, als würde es auch in Libanon wieder einen Krieg geben können. Die Menschen haben in den letzten Monaten auch gesehen, was in Gaza seit dem 7. Oktober passiert ist.
Mehr als 30 Menschen sind bei dieser Attacke ums Leben gekommen. Mehrere Tausend Verletzte müssen nun versorgt werden. Wie steht es um die Gesundheitsversorgung in Libanon?
Das libanesische Gesundheitssystem kann so eine Katastrophe nicht tragen. Es gibt zwar genug Blut, weil sehr viele Menschen gespendet haben, aber ansonsten fehlt es an Kapazitäten. Iran hat Ärzte ausgesandt, auch Irak hat medizinische Unterstützung geschickt. Besonders Augenärzte gibt es nicht genug, da viele der verletzten Menschen schwere Wunden im Gesicht haben, besonders im Augenbereich. Viele Menschen haben ihr Augenlicht verloren.
Viele Menschen im Süden des Landes sind aus ihren Häusern geflohen und leben als im Land Vertriebene.
Für die Hisbollah stehen die Zeichen nun auf Vergeltung. Deren Chef Hassan Nasrallah will sich dazu äussern. Teilt die Zivilbevölkerung das Bedürfnis nach Vergeltung?
Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sind zwiegespalten. Niemand will Krieg. Doch die Wut, dass auch Kinder und Zivilisten gestorben sind, ist gross. Trotzdem steht das Bedürfnis nach Frieden im Vordergrund. Die Situation in Libanon hat sich in den letzten Tagen, aber auch schon in den letzten Monaten zugespitzt. Viele Menschen im Süden des Landes sind aus ihren Häusern geflohen und leben als im Land Vertriebene. Niemand will diesen Krieg, niemand will komplette Eskalation.
Das Gespräch führte Kathrin Hiss.