In den schicksten Vierteln von Caracas ist der Luxus-Boom in vollem Gange. Jeden Monat macht ein neues Restaurant auf. Porsches röhren durch die Strassen. Der Pro-Kopf-Verkauf von Uhren in Venezuela hat den der Nachbarländer überstiegen. In den Vierteln Las Mercedes oder Altamira schiessen Schuhgeschäfte, Möbelhäuser und Gourmet-Bäckereien aus dem Boden.
Gleichzeitig haben 80 Prozent der Haushalte und die Hälfte der Spitäler kein oder kaum Trinkwasser. Der Niedergang ist überall sichtbar: Nach den jüngsten Daten von den wichtigsten Universitäten und Beobachtungsstellen in Venezuela sind 96 Prozent der Haushalte arm.
Der 40-jährige Friseur Raul Rojas aus Caracas ist empört: «Frustration, Wut, Ohnmacht. In den Millionärsvierteln sehe ich gepanzerte Luxus-Fahrzeuge. Wie ist das möglich? Wer kann sich das leisten? Die humanitäre Krise trifft die Venezolaner jeden Tag mehr, sie sind nicht in der Lage Nahrungsmittel zu kaufen, um ihre Grundbedürfnisse zu decken.»
Es gibt zwei Erklärungen für diesen Reichtum der Wenigen. Die erste hängt mit den internationalen Sanktionen zusammen, wie der Ökonom Rudi Cressa, Professor an der führenden Wirtschaftshochschule IESA von Venezuela, sagt.
«Der kausale Effekt zwischen den Sanktionen und der Opulenz, dem Überfluss hat damit zu tun, dass viele Leute, die sanktioniert sind, im Land bleiben. Ihre Anwälte raten ihnen davon ab, das Land zu verlassen. Also bleiben sie alle in ihrer Heimat – auch verstärkt durch die Pandemie – und geben ihr Geld hier in Venezuela aus.»
Dollarisierung der Wirtschaft
Die US-Regierung hat 166 venezolanische Einzelpersonen, die mit dem venezolanischen Regime in Verbindung stehen, mit Sanktionen belegt, indem sie ihr US-Vermögen einfriert und sie daran hindert, dorthin zu reisen.
Ähnliche Schritte wurden kürzlich von der Europäischen Union und von Grossbritannien gegen etwa 40 Venezolaner unternommen. So wollen sie Venezuelas Staatschef Maduro in die Knie zwingen.
Die andere grosse Veränderung ist die Dollarisierung der Wirtschaft. Die Regierung bekommt die Hyperinflation nicht in den Griff und druckt deshalb einfach neue Geldscheine mit grossen Bolivar-Beträgen, die aber auch kaum was wert sind. Darum: Der US-Dollar, einst illegal, ist überall willkommen.
Undurchsichtige Geschäfte
Das ist ein Wendepunkt für viele Unternehmen, die nicht mehr befürchten müssen, dass sich ihre Einnahmen in zwei Wochen halbieren. Bei diesen Unternehmen handelt es sich um venezolanische Geschäftsleute und Unternehmer mit langer Tradition, die trotz Rezession und Pandemie durchgehalten haben und sogar wuchsen, sagt der Ökonom Cressa.
Aber der grösste Teil der Reichen werde durch ihre Verbindungen und Beziehungen zu den oberen Rängen der Macht begünstigt und erhalte auf undurchsichtige oder unethische Weise und ausserhalb des Gesetzes Zugang zu Verträgen, Konzessionen und Möglichkeiten. «Das erlaubt es ihnen, sehr schnell ein Vermögen anzuhäufen», so Cressa.
Und dieses Vermögen werde hauptsächlich für sichtbare Symbole für Reichtum und Prunk ausgegeben, sagt die venezolanische Soziologin Angela Oraa. «Diese Venezolaner mögen es reich zu sein und zeigen das. Es geht nicht um den Erwerb von Kunst oder guter Lektüre. Es boomen Sportwagen und Markenkleider.»
Eine kleine Gruppe – denen die Dollar nicht so schnell ausgehen. Aber Millionen Bürgerinnen und Bürger sehen von diesen Dollar nie etwas.