Viermal innert zwei Jahren haben die Israelis gewählt. Wahlen sind normalerweise das Merkmal einer lebendigen Demokratie. Dennoch hat Israels Staatspräsident Reuven Rivlin am Wahlmorgen gesagt, sein Land stecke in der grössten politischen Krise seit seiner Gründung vor 73 Jahren.
Immer der gleiche Sieger …
Kaum jemand kommentiert die gesellschaftspolitische Realität Israels zurzeit so treffend und so ironisch wie die jüdische Komikerin Noam Shuster-Eliassi aus Jerusalem. Als Premier Benjamin Netanjahu 2020 mitten in der Corona-Krise und trotz Reisebeschränkungen den Tourismus mit den Vereinigten Arabischen Emiraten propagierte, machte die Mittdreissigerin ein satirisches Video.
Auf Arabisch erklärt sie den neuen Gästen aus dem Land, mit dem Israel eben ein Friedensabkommen unterzeichnet hat, was sie in Israel erwartet. «Im Gegensatz zu euch haben wir in Israel eine Demokratie,» erklärt die Komikerin. «Wir haben rund 276-mal pro Jahr Wahlen, und dank all diesen Wahlen ist Benjamin Netanjahu Premier, seitdem ich sieben Jahre alt war», spottet sie.
In anderen Worten: wie in den arabischen Ländern der Region, wo Wahlen eher Alibi-Übungen sind, hat auch Israel einen langjährigen Herrscher – und damit so seine Probleme mit der Demokratie.
... und doch keine stabile Regierung
Genau das meinte auch Staatspräsident Reuven Rivlin, als er am gestrigen Wahltag von der grössten politischen Krise in der Geschichte Israels sprach. Diese Wahl-Kaskade ist nicht Ausdruck einer starken, sondern einer schwächelnden Demokratie.
Demokratische Wahlen sind noch keine Garantie für Demokratie. Wenn sich gewählte Staatschefs undemokratisch benehmen, höhlen sie die Demokratie aus. Seitdem sich Premier Benjamin Netanjahu wegen Korruption vor Gericht verantworten muss, hat er jede demokratische Institution im Land verunglimpft: die Medien, die Gerichte, selbst die Glaubwürdigkeit der obersten Wahlbehörde hat er infrage gestellt, davor gewarnt, dass die Wahlen «gestohlen» werden könnten.
Den stärksten Rivalen ausgetrickst
Das macht dem bald abtretenden Staatspräsidenten Reuven Rivlin Sorgen. Premier Netanjahu hat nicht nur das Vertrauen in die demokratischen Institutionen geschwächt. Er hat auch die Opposition vorgeführt und gespalten.
Seinen stärksten Rivalen Benny Gantz überzeugte er, mit ihm zusammen in der Pandemie eine Krisenregierung zu bilden. Netanjahu versprach Gantz sogar, ihm seinen Sessel nach der Hälfte der Amtszeit zu überlassen. Ernst meinte er das nie: Gantz fiel trotzdem auf Netanjahu herein, verriet seine Wähler und seine Weggefährten, und konnte die vierten Neuwahlen in zwei Jahren doch nicht verhindern.
Wahlen ohne Inhalt
Die Hochrechnungen zeigen fast dasselbe Bild wie bei den Wahlen vor einem Jahr: weder Premier Netanjahu noch der Anti-Netanjahu-Block kommen auf die magische Zahl «61», um die sich alles dreht. Wer 61 von 120 Sitzen im Parlament gewinnt, kann eine Regierung bilden. Nur darum geht es.
Kaum jemand sprach im Wahlkampf über den Nahost-Konflikt, die Wirtschaft, die Armut, die fehlende Altersvorsorge, die Mängel im Gesundheitssystem, über die mehr als 6000 Israelis, die an Corona gestorben sind. Es ging nur um Benjamin Netanjahu. Von 1996 bis 1999 und seit 2009 war er ununterbrochen Premier.
Die Frage, ob er weiterhin an der Macht bleibt, hält Israel seit zwei Jahren in Atem. Auch nach dieser Wahlnacht wird sich weiterhin alles um ihn drehen. «Es darf jetzt kein fünftes Mal Wahlen geben,» sagte Netanjahu in der Wahlnacht, wohlwissend, dass die Serie an Neuwahlen der letzten zwei Jahre völlig unnötig war. Sie diente nicht Israel, sondern nur Benjamin Netanjahu.