Am Freitag wählt Iran nach den Regeln der islamischen Revolution ein neues Parlament. Der «Wächterrat» hat vorgängig sämtliche 14'000 Bewerbungen geprüft und die Hälfte davon ausgeschieden – sogar einen Drittel der bisherigen Abgeordneten. Dies mit verschiedenen Begründungen, etwa weil sie nicht «islamischer Tugendhaftigkeit» genügten. Die Reformkräfte fühlen sich besonders im Visier. Präsident Hassan Rohani kritisierte den Wächterrat.
Der eigentlich starke Mann im Land, Revolutionsführer Ajatollah Chamenei, stellte sich hinter das Gremium. Das Parlament müsse stark sein. Wer es nicht wage, den Verschwörungen der ausländischen Feinde standzuhalten, sei im Parlament fehl am Platz. Zu wählen sei «religiöse Pflicht», sagte Chamenei. Manche Beobachter erwarten dennoch eine tiefe Wahlbeteiligung.
«Unser geliebtes Iran, es möge ewig leben», steht auf dem Plakat beim Valiasr-Platz. Hamid schaut zu dem Märtyrerbild auf. Kassim Soleimani sei ein Vorbild, Menschen von seinem Schlag sollten in die Politik gehen, sagt der Wirtschaftsstudent. «Menschen, die entschlossen sind und selbstlos.»
Soleimani war Auslandchef der Revolutionsgarden, der mächtigen Elitetruppe, die direkt dem Revolutionsführer Chamenei unterstellt ist. Hamid ist schlecht zu sprechen auf Präsident Rohani, der keines seiner Versprechen eingelöst habe. Er will die Wahl am Freitag boykottieren.
Rohani hatte auf die Öffnung des Landes gesetzt. US-Präsident Trump machte ihm mit seinem Ausstieg aus dem Atomabkommen und den drastischen Sanktionen einen Strich durch die Rechnung. Die Konservativen sind entschlossen, bei den Parlamentswahlen aus dieser Schwäche der Reformer Kapital zu schlagen.
Im Restaurant neben der Uni hängt neben dem Rauchverbot ein zweites Schild, das die Frauen ermahnt, den staatlichen Kopftuchzwang zu befolgen. Kimia fällt ihr Kopftuch dennoch fast ins Genick. Auch sie will an den Wahlen nicht teilnehmen. «Nach der Vorprüfung durch den Wächterrat haben wir nur noch die Wahl zwischen schlechter und am schlechtesten», sagt sie.
Die Träume sind so klein hier.
Moien ist angehender Elektroingenieur, wie Kimia erhoffte er sich von Rohani neben der wirtschaftlichen auch die soziale Öffnung des Landes. Der Spielraum im Alltag sei zwar grösser geworden, räumt Kimia ein. «Unsere Eltern durften keine Musik-CDs haben, wir haben das Internet».
Und doch fühlt sich Kimia in ihrem Heimatland von der Welt abgeschnitten. Fortgehen, hierbleiben? «Die Träume sind so klein hier», sagt Moein. Er hofft auf ein freieres Leben im Ausland. «Trotz allem, ich mag diese Stadt», entgegnet Kimia.
Die Sittenwächter lassen Strassenmusiker Abdallah gewähren. «Sie wissen auch, dass die Zeiten hart sind», sagt er und hofft auf etwas Geld von Passanten. Zugute kommt ihm, dass er traditionelle Musik spielt. Wer sich auf der Strasse mit Pop und Rock aus dem Westen versucht, riskiert viel eher einen Verweis.
Besonders hart trifft die Wirtschaftskrise die Armenviertel ganz im Süden der 14-Millionen-Stadt. Die Regierung versucht mit gezielten Zuschüssen die Not zu lindern. Doch das reiche nicht, sagen die Menschen hier. Die Inflation frisst die Gehälter auf. Der Kurszerfall macht Importe unerschwinglich.
Als im November auch noch die Treibstoffpreise massiv erhöht wurden, kam es zu blutigen Protesten, die kompromisslos niedergeschlagen wurden. «Wenn die Politik keinen Ausweg findet, wird es neue Proteste geben», glaubt Jasim. Er versucht sich als Privatlehrer, weiss aber nicht, wie er bis ans Monatsende kommt.
Reza fungiert regelmässig als Pfandleiher und nimmt Schmuck entgegen von Patienten, die ihre Behandlung im Spital nebenan nicht mehr bezahlen können. Er gibt die Schuld an der Krise vor allem Trump, der das iranische Regime bestrafen wolle, aber mit seinen drakonischen Sanktionen die Ärmsten treffe.
Echo der Zeit vom 19.2.2020