- Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat die SPD zur Geschlossenheit aufgerufen, um dem dramatischen Umfragetief der Partei und der Haushaltskrise zu trotzen.
- «Wir müssen zusammenhalten und einen klaren Kurs haben», sagte der Kanzler in einer kämpferischen Rede vor den 600 Delegierten des Parteitags in Berlin.
- Einem Abbau des Sozialstaats und den von der FDP geforderten Einschnitten beim Bürgergeld erteilte Scholz eine klare Absage.
- Das Konfliktthema Abschiebung abgelehnter Asylbewerber sparte er aber aus.
Die Delegierten feierten Scholz mit fast fünf Minuten stehendem Applaus. SPD-Chefin Saskia Esken dankte ihm anschliessend für seine Rede: «Jeder und jede hier im Raum spürt, dass du hier zu Hause bist», sagte sie.
Die klare Rückendeckung für den Kanzler war nicht unbedingt zu erwarten. In den vergangenen Monaten hatte sich angesichts schlechter Umfragewerte Frust in der Partei breitgemacht. Die SPD liegt nur noch bei 14 bis 17 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2021 waren es noch 25.7 Prozent. Die Unzufriedenheit mit der Arbeit des Kanzlers ist so gross wie noch nie. Nach einer aktuellen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts YouGov findet nur noch jeder Fünfte gut, wie Scholz die Regierung führt.
51 Minuten ohne Manuskript
Davon zeigte sich der Kanzler unbeeindruckt. Er trat zwar mit einem gefalteten Zettel ans Rednerpult, hielt seine 51-minütige Rede dann aber durchgehend frei. Manche hätten damit gerechnet, dass es auf dem Parteitag mit dem Zusammenhalt der SPD vorbei sei, sagte er gleich zu Beginn. Doch das werde nicht passieren. «Diese sozialdemokratische Partei wird auch die nächsten Jahre gemeinsam zusammenarbeiten.»
Scholz blickte vier Jahre zurück. Auch damals sei die SPD in einer sehr schwierigen Situation gewesen. Den Erfolg bei der Bundestagswahl habe den Sozialdemokraten zwei Jahre vor der Wahl 2021 noch niemand zugetraut. Der Kanzler betonte, dass die Geschlossenheit seitdem gehalten habe. «Niemand hat damit gerechnet, dass wir das so lange durchhalten, danke dafür.»
Scholz äussert sich zuversichtlich zu Haushaltsverhandlungen
Auf die schwierigen Verhandlungen mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) über die Schliessung des 17-Milliarden-Euro-Lochs im Haushalt 2024 ging Scholz nicht im Detail ein. Ein paar Botschaften hatte er dazu aber dennoch parat.
Einen gravierenden Eingriff in die Sozialleistungen schloss der Kanzler aus. «Es wird in einer solchen Situation keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland geben», versprach er und erteilte FDP-Forderungen nach Einschnitten beim Bürgergeld eine eindeutige Absage.
Er zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass es zu einer Einigung in der Ampel kommen wird. «Wir stehen nicht vor einer unlösbaren Aufgabe. Es müssen sich jetzt nur alle verständigen», sagte er. Zugleich räumte Scholz ein, die Situation sei sehr schwierig, «insbesondere, wenn man das nicht nur so machen kann, wie man das selber richtig findet, sondern sich auch noch mit anderen einigen muss». Am Sonntag soll weiterverhandelt werden.
Konfliktthema Abschiebungen umschifft
Beim Streitthema Migration machte Scholz es sich einfach. Das heikle Thema der Rückführung abgelehnter Asylbewerber umging er und konzentrierte sich darauf, für die Einwanderung von Fachkräften zu werben: «Deutschland braucht als Einwanderungsland auch weiter die Perspektive, diejenigen aufzunehmen, die für das Wachstum und den Wohlstand dieser Gesellschaft erforderlich sind.»