Wie lange schaut China dem demokratischen Treiben in Hongkong noch zu? Die Angst der Demonstranten vor einem militärischen Eingreifen Chinas wächst. Bislang agiert die Zentrale in Peking aber eher auf subtile Art – etwa durch Propaganda im Internet. Zuletzt löschte Twitter Tausende gefälschte Konten.
SRF News: Vermuten Sie hinter den gesperrten Twitter-Konten auch den chinesischen Staat?
Mareike Ohlberg: Wir wissen, dass es in China einen riesigen Apparat gibt, der für solche Meinungsmanipulation zuständig ist. Ich halte es für extrem wahrscheinlich, dass hinter einer Vielzahl dieser Konten tatsächlich Peking steckt. Wir kennen das Muster aus anderen Fällen.
Was sind das für Konten?
Häufig sind es Konten, die früher für andere Zwecke verwendet wurden – Spam-Accounts, die etwas beworben haben. Diese wurden übernommen, eventuell auch aufgekauft. Und im Juni haben diese Accounts angefangen, auf Chinesisch und Englisch zu Hongkong zu posten. Viele der Konten sind im Namen der chinesischen Regierung tätig, um pro-kommunistische Partei-Standpunkte unter die Leute zu bringen.
Was kann man auf Twitter lesen?
Es sind viele Argumente, die chinesische Staatsmedien auch bringen. Etwa, dass die Protestanten in Hongkong Terroristen und wahnsinnig gewalttätig seien. Das Ganze sei eine Farbrevolution, aus dem Westen angezettelt, um China Schwierigkeiten zu bereiten.
Wie wichtig sind Facebook und Twitter in Hongkong?
Die Demonstranten sind auf Facebook aktiver als auf Twitter. Dort zielt die Meinungsmache aber auf ein breiteres Publikum ab. Es geht darum, das Gesamtbild zu den Protesten zu ändern. Auslandchinesen, Europäer und Amerikaner sollen dort angesprochen werden.
Wie ist der Manipulationsapparat organisiert?
Er ist umgangssprachlich bekannt als die 50-Cent-Armee, was angeblich dem Lohn entspricht, den man pro Post bekommt. Diese existieren in allen Bereichen: Überall, wo es die kommunistische Partei gibt, hat es auch eine Propaganda-Abteilung.
Die chinesische Propaganda ist vermehrt auch auf ausländischen Kanälen präsent.
Unter dieser Abteilung gibt es eine Unterabteilung, die für Meinungsmache und Manipulation der öffentlichen Meinung zuständig ist. Bisher hauptsächlich innerchinesisch tätig, ist die Propagandaabteilung in den letzten Jahren auch vermehrt auf ausländischen Kanälen zu sehen.
Sind sich die Menschen in Hongkong bewusst, dass Peking sie im Internet zu beeinflussen versucht?
Die meisten wissen darüber Bescheid. Sie sind auch ziemlich zynisch gegenüber diesen Manipulationsversuchen. Der kommunistischen Partei geht es aber nicht unbedingt darum, Demonstrierende zu überzeugen, sondern vielmehr den Rest der Welt. Und ein Grossteil der Botschaften, die Peking raussendet, ist sowieso an Chinesen selber gerichtet.
Wie offen wird in China im Internet noch diskutiert, und wie offen in Hongkong?
China und Hongkong haben völlig unterschiedliche Internetsysteme. In China geht jeder Inhalt durch Filter. Es gibt ein sehr ausgeklügeltes Untersystem, das halbautomatisiert herausfiltert, was man sagen kann und was nicht. Wenn im chinesischen Internet etwas steht, etwa negative Kommentare über Hongkong, kann man davon ausgehen, dass das so gewollt ist.
Die Hongkonger werden vorsichtiger in dem, was sie posten.
Hongkong hat dieses Zensursystem nicht. Aber die Leute werden vorsichtiger in dem, was sie posten. Peking ist bereits gegen einzelne Personen vorgegangen. Bei einer Einreise ins Festland-China werden die Telefone kontrolliert. Und es sind auch bereits Hongkonger vom chinesischen Staat «einkassiert» worden.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.