Polen muss sich auf mehr Kinder mit Behinderungen einstellen. Seit letzter Woche gilt nämlich ein Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das es verbietet Föten mit Missbildungen abzutreiben. Die rechtskonservative Regierung in Warschau sagt, das strengere Abtreibungsverbot schütze Leben. Und sie verspricht, sie werde den – Zitat – «heldenhaften Müttern» beistehen, die sich um behinderte Kinder kümmern. Viele der betroffenen Mütter und Väter finden das zynisch. Sie fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Zum Beispiel die Familie der zerebral gelähmten Hania.
An die Tür einer Jugendlichen klopft man – auch wenn sie eine Behinderung hat. Hania hat gerade Physiotherapie – so wie jeden Tag. Das hilft ein Stück weit gegen ihre Krämpfe. Hania kann nicht sprechen, nicht gehen, nicht sitzen, nicht alleine essen. Hania ist 16 – aber eigentlich noch ein Säugling, sagt ihre Mutter Kasia Łukasiewicz.
Zur Trauer kommt die Enttäuschung durch den Staat
Die Erinnerung an Hanias Geburt quält die 50-Jährige noch heute. Sie ging am Morgen mit einem gesunden Kind im Bauch ins Lubliner Universitätsspital. Und am Abend mussten sie Hania vierzig Minuten lang wiederbeleben.
Hanias Gehirn war bei der Geburt schwer geschädigt. Ein Ärztefehler, urteilte später das Gericht. Zum emotionalen Tsunami aus Trauer, Wut und Hass gesellte sich die Enttäuschung über die mangelnde Unterstützung durch den Staat: «Wir sind unsichtbar. Für Familien mit Kindern wie Hania gibt es keine psychologische und keine finanzielle Hilfe. Wir werden alleine gelassen», sagt Hanias Mutter.
Das klingt nach grossen Verbesserungen, ist in den Augen von Kasia Łukasiewicz, aber nichts als politische Propaganda. Kasias Ehemann Karol trägt die 16-jährige Hania inzwischen auf dem Rücken durchs Wohnzimmer. Er sagt, die Unterstützung sei zu bürokratisch und viel zu knapp.
Ein Beispiel: Die Regierung verspreche allen Behinderten gratis Physiotherapie. Das sei eine Lüge. Der polnische Staat zahlt im Jahr 80 Stunden Physiotherapie. Hania braucht ihren Physiotherapeuten aber 365 Tage im Jahr. Auch die Kurzzeitpflege, die Eltern wie Kasia und Karol Pausen von ihren behinderten Kindern ermöglichen soll, sei nicht verfügbar. Die Wartelisten seien so lange, das Ganze so bürokratisch, das bringe nichts, sagt Kasia.
Nachfrage nach Unterstützung wird steigen
Die Familie Lukasiewicz kommt nur deshalb zurecht, weil das Spital, in dem bei Hanias Geburt fast alles schieflief, Schadenersatz zahlen muss – Geld, das anderen Familien mit behinderten Kindern fehlt.
Das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das Abtreibungen auch dann verbietet, wenn der Fötus massive Missbildungen hat, wird die Nachfrage nach Unterstützung vergrössern, sagt die Familienministerin. Die Regierung werde diese Unterstützung bieten, verspricht sie. Frauen, die behinderte Kinder zur Welt bringen, sollen mit ihrem Heldentum nicht allein bleiben.
Sie sei keine heroische Mutter, sagt Kasia. Sie könnte Hania manchmal umbringen. Schonungslose Worte – und der Versuch trotz allem zu lachen. Das hilft Kasia und Karol, mit der schweren Behinderung ihrer Tochter klar zu kommen. Würden sie denn einen Fötus mit Missbildungen abtreiben, wenn sie die Wahl hätten? In Polen würde sie über eine Abtreibung nachdenken, ja, sagt Kasia. Sie wisse, wie hart das Leben mit einem schwer behinderten Kind hier sei.