Giuseppe Conte hat seinen Rücktritt als Regierungschef Italiens eingereicht. Damit ist die Regierung zwischen Lega und 5-Sterne-Bewegung nach lediglich 15 Monaten am Ende. Das ist für Italien allerdings keine besonders kurze Zeitspanne. Seit der Ära von Silvio Berlusconi ist es dem Land nicht mehr gelungen, eine stabile Regierung ins Amt zu bringen.
Der italienische Parlamentarier Francesco Palermo zeigt sich im Gespräch wenig zuversichtlich, dass sich das in naher Zukunft ändern wird.
SRF News: Woher kommen die häufigen Regierungswechsel?
Francesco Palermo: Hauptsächlich liegt es an der politischen Kultur. In Italien denkt man oft, dass bei einem Regierungswechsel auch ein Machtwechsel kommen müsste, was nicht immer der Fall ist.
Die Parteien halten es für nötiger zu streiten, als zusammenzuarbeiten.
Was zeichnet denn die politische Kultur Italiens aus?
Die politische Kultur ist eine streitbare Kultur. Die meisten Parteien halten es für nötiger zu streiten, als zusammenzuarbeiten. Deswegen muss man immer Koalitionen bilden, die instabil sind und auf die Dauer zusammenbrechen. Nur mögen das anscheinend auch die Wähler. Das ist das eigentliche Problem. Die Wähler wollen diese Versprechen, die dann nie umgesetzt werden können.
Aber auch die Politiker und die Parteien mögen das. Oder nehmen ein Regierungschaos in Kauf – allein für mehr Macht.
Natürlich. Weil eben kurzfristig an der Macht zu sein wahrscheinlich besser ist, als langfristig in der Regierung zu sitzen, aber nicht so ausschlaggebend zu sein. Es ist eine Kultur des Jetzt und nicht des Planens. Das zeigt sich nicht nur in der politischen Kultur, sondern auch in der Medienlandschaft. In den Zeitungen sieht man immer wieder eine Personalisierung der Politik. Das ist vielleicht für das schweizerische Publikum nicht so leicht verständlich, weil eben in vielen anderen Ländern die Politik etwas «grauer» ist. In Italien geht es sehr bunt zu. Als Folge davon ist sie jedoch wenig stabil. Das hilft dem Land natürlich nicht.
Wenn etwas nicht gemacht werden kann, dann sind immer die Koalitionspartner schuld.
Anders war es bei Silvio Berlusconi, er war fast 20 Jahre an der Macht. Wie hat er das geschafft? Was hat er anders gemacht?
Also, so ganz anders war es eben nicht. Er hat praktisch immer dasselbe gemacht. Nur war er koalitionsfähiger als viele andere. Er hat immer eine Partei geführt, die im Mitte-rechts-Lager eine relative Mehrheit hatte. Und er war der Einzige, der an der Macht sein konnte, weil er der Führer der grössten Partei in der Koalition war. Die anderen Parteien waren nicht so stark, deswegen gab es keine Alternative. Aber die Dynamik war letztendlich immer dieselbe, und auch die «Taktik des Sündenbocks», wie ich sie nenne. Das heisst, wenn etwas nicht gemacht werden kann, dann sind immer die Koalitionspartner schuld.
Jetzt steht in Italien wieder eine neue Regierung an. Es wird erneut eine Koalition sein. Aber die Hoffnung auf eine stabile Regierung bleibt klein. Oder wie sehen Sie das?
Ja, diese Hoffnung bleibt definitiv klein. Es gibt eigentlich zwei mögliche Szenarien. Auf der einen Seite eine kurzfristige Regierung, die einfach die Neuwahlen vorbereitet. In diesem Fall profitiert die Lega sehr stark, weil sie momentan sehr gut abschneidet. Wenn hingegen eine längerfristige Regierung gebildet wird, dann ist es wahrscheinlicher, dass die Lega für eine längere Zeit – also dreieinhalb Jahre – in der Opposition bleibt. Und das wird nicht im Sinne der Lega sein. Denn aus der Opposition kann man relativ wenig bewirken, besonders wenn es längerfristig ist. Stabilität wird sich jedenfalls nicht einstellen – egal, welche Koalition zu Stande kommt.
Das Gespräch führte Eliane Leiser