142 Millionen Russen sind am Sonntag zur Wahl aufgerufen. Darunter Millionen Menschen, die keine Erinnerungen haben an ein Russland ohne Wladimir Putin an der Macht. Eine Mehrheit der Jungen unterstützt Putin, aber es gibt auch unter bekannten jungen Gesichtern Widerspruch.
Rappen gegen Putin
Unter seinem bürgerlichen Namen, Iwan Alekseew, ist er in Russland kein Begriff. Doch unter seinem Bühnennamen, Noize MC, gehört der 33-Jährige zu den bekanntesten Rappern des Landes. Im Unterschied zu anderen Rappern ist er nicht nur für seine Reime bekannt, sondern auch für kritische Äusserungen gegen die russische Regierung.
Seinen Durchbruch schaffte Noize MC vor mehr als zehn Jahren mit Songzeilen wie: «Ich scheisse auf den ersten Kanal, auf den zweiten Kanal scheisse ich auch. Ich werfe meinen Fernseher aus dem Fenster meines Hotelzimmers auf das Auto eines Ministers. Ich bin ein Rockstar! F**** euch ins Knie.» Ein Frontalangriff auf das staatliche Fernsehen und die politische Elite des Landes. Vor der vergangenen Präsidentschaftswahl 2012 hat Noize MC zu Protesten aufgerufen und ist selbst auf die Strasse gegangen für ein Russland ohne Wladimir Putin.
Die Proteste von 2012 haben uns rein gar nichts gebracht.
Sechs Jahre und eine Amtszeit später fehlt auch dem optimistischen Noize MC ein Grund, auf die Ergebnisse der Proteste stolz zu sein: «Die meisten sind enttäuscht worden von der Idee des politischen Protests an sich. Leider teile ich diese Enttäuschung insgesamt. Die Proteste von 2012 haben uns rein gar nichts gebracht», erzählt Noize MC konsterniert im Backstage-Bereich einer Konzerthalle in der russischen Provinzstadt Wologda mehrere hundert Kilometer nördlich von Moskau. Nachdem Noize MC es wagte, 2014 an einem Festival im Westen der Ukraine sich die gelb-blaue Fahne der Ukraine umzubinden, war die Antwort in Russland unmissverständlich. Konzerte von Noize MC wurden kurzfristig abgesagt mit der Begründung, die Sicherheit könne nicht garantiert werden.
Noize MC wäre jedoch nicht Noize MC, würde er sich davon den Mund verbieten lassen. Noch im Tourbus richtete er einen Song direkt an Wladimir Putin und machte sich über die Einschränkungen durch die Behörden lustig. Mit seiner Musik hat Noize MC eine Möglichkeit, seinem eigenen Unmut Luft zu verschaffen, auch wenn nicht jeder im Publikum seine politische Meinung teilt. Noize MC hat die Hoffnung auf ein Russland unter einer anderen Regierung nicht aufgegeben: «Ich warte auf den Tag, an dem endlich ein Mensch auftaucht, der in der Lage ist, Putin zu ersetzen. Damit verbinde ich einige Hoffnungen, dass sich Dinge bessern.»
Kämpfen für Putin
Von russischen Medien wurde Schachvizeweltmeister Sergei Karjakin für seine gewiefte Angriffsstrategie auch schon als Verteidigungsminister bezeichnet. Ein Ministeramt bekleidet der 28-Jährige bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Ende Januar aber hat das Schachtalent auf seinem Instagram-Account bekannt gegeben, dass er Wladimir Putins Kandidatur unterstütze.
Vor wenigen Jahren trat Karjakin noch für die Ukraine an, doch in der Ukraine sah er für sich keine vergleichbaren Perspektiven. Noch unter Ministerpräsident Medwedew erhielt Karjakin die russische Staatsbürgerschaft und zog nach Moskau um. Er ist überzeugt, dass er heute nicht ein ähnlich erfolgreicher Schachspieler wäre, hätte er nicht die Unterstützung Russlands erhalten. Bei unserem Gespräch in der Lobby des Hotel Sheraton Palace in Moskau ist Karjakin überzeugt, dass Wladimir Putin weitaus der stärkste aller zur Wahl stehenden Kandidaten ist: «Putin ist den russischen Bürgern ergeben. Viele Leute denken wohl, dass er auf dem Thron sitzt und wenig tut. Aber sein Zeitplan ist so voll, dass er keine freie Minute hat, um sich zu erholen.»
Er [Putin] denkt viel nach und jedes seiner Worte hat einen tiefen Sinn. Würde er Schach spielen, wäre er bestimmt auch ein guter Spieler.
Das Schachtalent hat sich mit Putin persönlich getroffen, um mit ihm die Zukunft des prestigeträchtigen Sports in Russland zu besprechen. Mit seiner Unterstützung des Wahlkampfs spielt Karjakin nun noch eine ganz andere Rolle als die des Schachspielers. Auf der Krim geboren, ist er für Präsident Wladimir Putin ein willkommener Botschafter. Nicht zufällig fällt die Wahl des russischen Präsidenten auf den Jahrestag der Annexion der Krim durch Russland.
Karjakin träumt davon, einen Tag mit Putin Schach zu spielen. Von der Taktik des Präsidenten ist er überzeugt: «Er ist ein hervorragender Stratege. Er denkt viel nach und jedes seiner Worte hat einen tiefen Sinn. Würde er Schach spielen, wäre er bestimmt auch ein guter Spieler.»
Für Putins Aussenpolitik
Die 18-jährige Marjana Naumowa hat die Sowjetunion selbst nicht miterlebt, dennoch würde sie am liebsten in der Zeit zurückreisen, um mit eigenen Augen zu sehen, wovon ihr ihre Eltern erzählen. Weil dies nicht geht, stimmt sie bei der Präsidentschaftswahl für den chancenlosen Kandidaten der Kommunisten und hofft, der Sozialismus möge doch noch eines Tages kommen.
Bekannt wurde Naumowa in Russland ursprünglich für ihre Kraft. Sie trägt den Beinamen des «stärksten Mädchens der Welt» für ihre Rekorde im Bankdrücken. Bis nächstes Jahr ist Naumowa allerdings von internationalen Wettkämpfen wegen einer positiven Dopingprobe gesperrt. Darüber möchte Naumowa jedoch lieber nicht sprechen.
Sie steht in ihrer Heimatstadt Chimki wenige Kilometer ausserhalb von Moskau vor einem sowjetischen Panzer. In dem historischen Modell ist Naumowa selbst nicht gefahren, aber zur Unterstützung der von Russland unterstützten Separatisten im Osten der Ukraine fuhr Naumowa schon mehrmals in die umkämpften Gebiete. Dabei ist Naumowa auch Panzer gefahren: «Eigentlich ist es nicht schwieriger, als einen PKW zu fahren. Nur das Fahrzeug ist ein wenig grösser», bekundete die damals noch minderjährige Naumowa selbstbewusst in die Kameras.
Die Probleme Russlands sind allen bestens bekannt. Die niedrigen Löhne und die unvorstellbare Korruption.
Für ihre Reisen in den Donbass wurde Naumowa auch vom staatlichen Fernsehen zum Gespräch eingeladen. Zu einem Zeitpunkt, als Naumowas die Position von Putin unterstützte und sie als seine Fürsprecherin auftrat. Mit der Aussenpolitik Putins ist Naumowa weiterhin einverstanden: «Ich unterstützte die Aussenpolitik des Präsidenten was Syrien und den Donbass betrifft. Auch wenn er in diesen Fällen ein wenig mutiger hätte entscheiden können. Er hätte den Donbass und Syrien früher unterstützen sollen.»
Doch ihre Stimme geht trotz dieses Zuspruchs nicht an Wladimir Putin. Zu wenig entspricht dessen Innenpolitik den Vorstellungen der Sportlerin: «Die Probleme Russlands sind allen bestens bekannt. Die niedrigen Löhne und die unvorstellbare Korruption. Von Kindesbeinen an werden wir in Reich und Arm getrennt.» Auch wenn sich Naumowa der schlechten Chancen der Kommunisten bei den diesjährigen Wahlen bewusst ist, hofft sie auf ein gutes Resultat – das wäre aus ihrer Sicht eine gute Ausgangslage für 2024. Wenn Russland zum nächsten Mal seinen Präsidenten wählt.