Bei der iranischen Präsidentenwahl im Sommer muss ein Nachfolger für Hassan Ruhani bestimmt werden. Dieser kann nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Interessenten für das Präsidentenamt haben ab Dienstag fünf Tage Zeit, um ihre Kandidatur anzumelden. Frauen sind nicht zugelassen. Iran-Expertin Natalie Amiri war lange für die ARD in dem Land tätig. Sie rechnet mit einem Rennen eines Hardliners gegen einen Hardliner.
SRF News: Vor vier Jahren haben sich 1636 Kandidaten eingeschrieben, antreten durften letztlich sechs. Wer bestimmt, wer zugelassen wird?
Natalie Amiri: Letztlich werden immer nur eine Handvoll Kandidaten zugelassen vom Wächterrat, einem ultrakonservativen, zwölfköpfigen Gremium, das zum Teil von Khamenei, dem Revolutionsführer, eingesetzt wird. Sechs Geistliche werden von ihm direkt eingesetzt, sechs Juristen werden über das Justizministerium eingesetzt. Doch der Justizminister wird wiederum vom Revolutionsführer eingesetzt. Das heisst, es ist ein in sich geschlossenes System, das keine Kandidaten, die in Opposition zum System stehen, zulässt.
Das heisst, es sind eigentlich keine echten, demokratischen Wahlen?
Im Grunde genommen nicht, und das sieht auch die Bevölkerung inzwischen so. Ursprünglich gab es innerhalb der sechs Kandidaten zwei Spitzenkandidaten, einen Hardliner und einen reformorientierten Kandidaten. Das ist dieses Mal nicht so. Dieses Mal ist es wirklich Hardliner gegen Hardliner. Es treten so viele Kandidaten aus dem Militär an wie noch nie, aus der Revolutionsgarde.
Die Menschen haben schon angekündigt, dass sie nicht zur Wahl erscheinen werden.
Dieses Mal, würde ich sagen, gibt es ein Rennen zwischen einem aus der Revolutionsgarde und einem aus dem Hardlinerbereich innerhalb der Islamischen Republik. Die Menschen haben schon angekündigt, dass sie nicht zur Wahl erscheinen werden. Sie machen dieses Spiel nicht mehr mit.
Gibt es keine Chancen für Kandidaten aus dem gemässigten Lager, zum Beispiel Aussenminister Javad Zarif, Verfechter des Atomabkommens?
Aus dem Reformlager wird es wohl vermutlich niemand schaffen. Das liegt auch daran, dass ein neues Gesetz ratifiziert wurde. Das besagt unter anderem, dass jeder Kandidat einen akademischen Abschluss haben muss und vier Jahre lang hohe Posten bekleidet haben muss. Diese neuen Einschränkungen verursachen, dass favorisierte Kandidaten aus dem Reformlager rausfliegen, denn die hatten vorher meistens eine Gefängnisstrafe aufgrund ihrer Politik gegen das System.
Wer gilt denn als Favorit?
Der ultrakonservative Justizchef Ebrahim Raisi zählt zu den Favoriten. Er ist wegen Beteiligung an Massenhinrichtungen von 5000 Häftlingen 1988 besonders umstritten und kein Wunschkandidat der überwiegend reformorientierten Gesellschaft. Weitere Hardliner aus den Reihen der militärisch, politisch und wirtschaftlich mächtigen Revolutionsgarde, wie etwa der Ex-Verteidigungsminister Hossein Dehghan oder Parlamentspräsident Mohammed Baker Kalibaf, gehören ebenfalls zum Favoritenkreis.
Was passiert mit dem Atomabkommen nach der Präsidentenwahl?
Wenn eine Person aus der Revolutionsgarde das Amt besetzen sollte, wird es mit dem Westen sehr schwer werden. Denn die Revolutionsgarde ist von den USA auf die Terrorliste gesetzt worden. Das heisst, man würde überhaupt nicht mehr in ein Gespräch kommen im Zuge der Atomverhandlungen.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.