Rodolfo Hernández pflegt einen rustikalen, groben Umgangston; er beschimpft das von ihm verhasste politische Establishment. Berüchtigt sind seine Wutanfälle.
Als Bürgermeister einer kolumbianischen Provinzstadt wurde er suspendiert, weil er einen Stadtrat geohrfeigt hatte. Seine Mitarbeiterinnen nannte er fett, faul und dumm. Vor ein paar Jahren hatte er im kolumbianischen Radio seine Bewunderung für einen «grossen deutschen Denker» ausgedrückt. Adolf Hitler.
Kürzlich hat er sich korrigiert: Er habe Albert Einstein gemeint.
Der 77-Jährige ist auf dem besten Weg, Kolumbiens nächster Präsident zu werden. In der Stichwahl am Sonntag trifft er auf den Linkskandidaten Gustavo Petro, Jurist und ehemaliger Guerillakämpfer.
Wenn Petro am Sonntag gewinnt, wäre er der erste linke Präsident in der Geschichte Kolumbiens. Das Land wird seit jeher von der konservativen Elite und ihren Parteien geführt. Dass nun also ein Linker und ein Parteiloser um die Präsidentschaft kämpfen, ist ein harter Schlag gegen die dominierende konservative politische Klasse Kolumbiens.
Die Wählerinnen und Wähler verlangen nach jemandem, der anders ist. Rodolfo Hernández ist so anders, dass niemand weiss, wofür und für wen er eigentlich steht. Er macht nur mit einer einzigen Botschaft Wahlkampf: «Schmeisst die korrupten Politiker raus.»
Sein Kampf gegen die Korruption hat allerdings einen Haken: Er selbst ist in ein Korruptionsverfahren verwickelt und muss sich im Juli vor Gericht verantworten.
Der 77-Jährige tritt auf wie ein Konservativer, er ist Millionär, und er übernimmt auch linke Ideen. Das heisst, dass sowohl er als auch der Linkskandidat Gustavo Petro in gewissen Bereichen ähnliche Positionen vertreten: Beide befürworten den kolumbianischen Friedensvertrag, höhere Renten und die gleichgeschlechtliche Ehe. Bei vielen Themen ist Hernández jedoch ungenau oder er ändert seine Meinung. Mal ist er für das Recht auf Abtreibung, mal dagegen. Mal macht er sich lustig über die Armen, mal will er sie unterstützen.
Kein traditioneller Wahlkampf
Seine Anhängerinnen und Anhänger folgen ihm millionenfach in den sozialen Medien. Das ist der wesentliche Grund für seine Beliebtheit. Rodolfo Hernández führt keinen traditionellen Wahlkampf und nimmt auch nicht an TV-Debatten teil. Er sendet vor allem Videos auf Tiktok, der beliebtesten Videoplattform bei Jugendlichen. Er stellt sich als authentischen Kandidaten jenseits des politischen Establishments dar. Und nennt sich selbst «Tiktok Opa».
«Bin ich zu alt für Tiktok?», fragt Hernández. «Das macht nichts», rufen ihm Jugendliche im Hintergrund zu. Seine Videos sind belanglos, aber sie unterhalten.
Bin ich zu alt für Tiktok?
Das sind keine guten Nachrichten für Kolumbien: Rodolfo Hernández hat keine politische Basis im Parlament, noch kein Regierungsteam und kein Regierungsprogramm, weil er es jeden Tag ändert. Kolumbien aber ist eines der am schwierigsten zu regierenden Länder Südamerikas: Fast die Hälfte der Bevölkerung ist arm, die Ungleichheit ist riesig, die Drogenbanden werden immer mächtiger. All das löst man nicht mit Tiktok Filmchen.