Najla Bouden ist die erste Frau im Amt einer Regierungschefin in Tunesien – und der ganzen Region Nordafrika und Mittlerer Osten. Ihre Wahl könnte ein Zeichen des Aufbruchs sein – wenn sie nicht unter sehr speziellen Umständen zustande gekommen wäre, wie Tunesien-Kennerin Miriam Salehi weiss.
SRF News: Inwiefern steht die neue tunesische Premierministerin Najla Bouden für ein «modernes Tunesien»?
Miriam Salehi: Ihre Wahl ist nicht wirklich aussagekräftig für den Zustand ganz Tunesiens. Die Wahl kommt in einem Moment, da Staatspräsident Kais Saied versucht, das demokratische System zu unterminieren. Mit der Wahl einer Frau versucht er zu verschleiern, dass es eher wieder in eine autoritäre Richtung geht.
Kritik am tunesischen Präsidenten kommt aus dem In- und Ausland. Kann die Wahl Boudens die Kritiker beruhigen?
Prinzipiell positiv ist, dass es überhaupt wieder eine Regierung gibt. Es stellt sich aber die Frage, wie viel Macht Sajed wieder an die Regierung abgeben wird. Er regiert derzeit bekanntlich per Dekret.
Wie hat das tunesische Volk auf die Nominierung Boudens reagiert?
Die Entwicklung wird eher zögerlich beobachtet, wenn auch die Berufung einer Frau Aufsehen erregt hat. Die Situation ist aber speziell: Saied hat Teile der Verfassung ausser Kraft gesetzt, und es ist unklar, mit wie viel Macht Bouden wird regieren können. Deshalb wird das Ganze eher skeptisch betrachtet.
Eine Frau an der Spitze der Regierung – das ist für die ganze Region eine Premiere. Weshalb sind die Frauen in Nordafrika und im Mittleren Osten in der Politik sichtbar unterrepräsentiert?
Dafür sind historische Strukturen verantwortlich – ähnlich wie in anderen Ländern. So spielten etwa auch in Europa die Frauen in der Politik über Generationen keine Rolle. Am Beispiel Tunesien sieht man aber, dass durch eine Frauenquote bei der Parlamentswahl die Frauen in der Politik zunehmend eine grössere Rolle spielen.
Dank der Quote spielen Frauen in der Politik eine immer grössere Rolle.
Bislang wurde dabei kritisiert, dass es Frauen trotzdem nie für die höchsten politischen Posten reicht und die Männer weiterhin Vorrang haben. Allerdings wird man im Fall Bouden erst noch sehen müssen, wie viel Macht ihr Präsident Saied zugestehen wird.
Welche Auswirkungen könnte die Wahl Najla Boudens zur Premierministerin auf die Rolle der Frauen in der Politik arabischer Staaten haben?
Durch ihre Wahl könnte es ganz einfach selbstverständlicher werden, dass Frauen hohe Regierungsämter besetzen. Wenn das normaler und alltäglicher wird, hätte das auch weitere Auswirkungen auf die Politik und Gesellschaft.
Das Gespräch führte Lillybelle Eisele.