Seit seinem abgebrochenen «Marsch der Gerechtigkeit» wird Kriegsfürst Jewgenij Prigoschin in den staatlichen russischen Medien demontiert. Seine Geldgier wird angeprangert, man macht ihn lächerlich und sogar seine militärischen Erfolge, wie die blutige und langandauernde Eroberung der ukrainischen Stadt Bachmut, werden hinterfragt.
Die Tatsache, dass Prigoschin die Sache nicht nur überlebt hat, sondern sich offensichtlich auch noch frei in Russland bewegen darf, könnte aber auch Beweis dafür sein, dass er Unterstützer in zentralen Stellen der Macht hat.
Kreml will alles im Griff haben
Der russische Präsident Wladimir Putin wird in den Propagandamedien derweil so gezeigt, als ob für ihn der bewaffnete Aufstand schon weit weg sei. Er hat Zeit und Musse, sich in der russischen Teilrepublik Dagestan um Fragen des Tourismus zu kümmern oder sich mit der Kulturministerin zu treffen – und mit ihr über die Restaurierung historischer Kulturgüter in russischen Provinzregionen zu sprechen.
Der Kreml wolle derzeit bewusst demonstrieren: Man habe alles im Griff. «Ganz offensichtlich soll ein Image erzeugt werden, dass es jemanden gibt, der alles unter Kontrolle hat», sagt Jens Siegert, Buchautor und Journalist, der schon seit 30 Jahren in Moskau lebt.
Putin hatte nach Prigoschins Rückzug den Soldaten und Sicherheitskräften für Mut und Treue gedankt. Er liess dabei unerwähnt, dass die vorrückenden Wagner-Truppen zunächst kaum auf Widerstand gestossen waren. Für einen Moment schien Putin schwach und machtlos.
Die meisten Leute in Russland können sich keine Alternative zu Putin vorstellen.
Und doch. Putins Popularität in der Bevölkerung scheint ein weiteres Mal nicht gelitten zu haben. Er wird vorerst seinem Ruf als «Teflon-Präsident», an dem alle Krisen abprallen, gerecht. Laut Umfragen des als unabhängig geltenden Meinungsforschungsinstituts Lewada erhält er sogar etwas mehr Zustimmung. Nur zehn Prozent gaben an, dass sich ihre Beziehung zum Präsidenten verschlechtert habe. Für eine klare Mehrheit ist sie gleich geblieben oder hat sich sogar verbessert.
Das sei aber nicht unbedingt die Zustimmung zu einer konkreten Politik, sondern zu seiner Person, sagt Buchautor Jens Siegert. «Die meisten Leute in Russland können sich keine Alternative zu Putin vorstellen.» Oder sie könnten sich nur vorstellen, dass es mit jedem anderen Menschen, mit jeder Alternative, schlechter werde.
Die nächste Krise kommt – früher oder später
Allerdings dürfte es auch den Strategen im Kreml aufgefallen sein, dass es in den Stunden des Aufstandes kaum Unterstützung oder solidarische Aktionen für die Machthaber gegeben hat. Spontane Demonstrationen oder Volkswehren gegen die anstürmenden Wagner-Truppen? Fehlanzeige. Vielmehr wurden diese in Städten wie Rostow, zumindest von einem Teil der Bevölkerung, freundlich begrüsst.
Wie sehr diese Krise Russland letzten Endes verändern werde, werde erst die nächste Krise zeigen, meint Siegert. Und eine solche Krise werde früher oder später sicher kommen. Schwere Niederlagen der russischen Truppen in der Ukraine zum Beispiel könnten eine solche Krise provozieren.